Kontrastprogramm

Nachträglich über die Fahrt von Guardamar nach Cartagena.

Eigentlich wollte ich gar nicht so weit fahren, nur wieder ein wenig die Küste hinunter. Aber obwohl ich recht früh nach einem Platz gesucht habe, hat doch immer irgendwas nicht gestimmt. Entweder direkt neben der Straße oder zwar ohne Verbotschild, aber wahrscheinlich doch nicht recht legal. Und da gabs im Süden der Halbinsel unter dem Mar Menor auch noch ein auf der Karte grün angemaltes Fleckchen mit einem ‚Park Regional‘ ~ wobei die Infos der Karte wegen dem Maßstab immer recht zweifelhaft sind . . .

Die Straße in Richtung des Parks führte erstmal durch einen riesigen Golfplatz, quadratkilometerweise angelegte künstliche grüne Landschaft . . . und dann gings rauf ins Gebirge, jegliche touristische Installation plötzlich wie abgeschnitten. Normalerweise mag ich das, aber die Berglandschaft machte mehr und mehr den Eindruck eines aufgelassenen Tagebergbaugebiets, die Landschaft großflächig umgestaltet, terrassiert, zum Teil mit Gebäuden, von denen man nicht genau weiß, ob die noch in Gebrauch sind, zum Teil Ruinen, die es ganz bestimmt nicht mehr sind . . . aber nichts mit dem Flair der Natur, die sich ihr angestammtes zurückholt, mehr der Touch der zerstörten Landschaft.

Dann neben der ‚Hauptstraße‘ ein Stück der alten Straße, das hinter einem kleinen Berg verschwindet, mit einem schönen Ausblick auf die Bucht von Portman. In der Hoffnung auf einen wieder mal genialen Standplatz wie der letzte in Frankreich lenke ich den Bus ins Gelände ~ aber hinter der Kurve dann die unangenehme Überraschung: Irgendwer hat es für nötig gefunden, diesen an sich schönen Ort als Bauschuttlager zu mißbrauchen. Also Rückwärtsgang und weiter . . .

Unten in Portman der Eindruck, daß dieser Ort bessere Zeiten gesehen hat, aber da ist noch Leben, und stellenweise sogar sympathisch. Aber die Bucht ist verlandet, der Club Nautico, an dem ich auf der Suche nach einem Übernachtungsort lande, ist durch ein paar hundert Meter Schilf vom Meeresstrand getrennt. Führt aber wohl ein Nachleben als Kneipe, und obwohl keiner da ist, fühle ich mich schon durch die Aussicht auf ein Nachtleben nicht zum Bleiben ermutigt ~ also weiter . . .

Auf meiner Karte führt die Küstenstaße von Portman nach Escombreras, und ich will mich mal überraschen lassen, was mir der Ort bietet! Und die Überraschung folgt auf dem Fuß: Über dem nächsten Bergkamm lande ich in einer riesigen Müllkippe, über der Mövenschwärme kreisen und es stinkt, wie es auf einer Müllkippe zu stinken hat. Plastiktüten werden vom Wind herumgetrieben und bleiben im Zaun hängen, der die Straße durch die Anlage begrenzt, Müllwagen zirkulieren . . . das ist die Müllkippe von Cartagena, und ich werde so mit der Nase (buchstäblich!) darauf gestoßen, daß unser Lebensstil jede Menge Müll produziert, der irgendwo hin muß. Weit weg von denen, die ihn verursachen, ist bei uns nicht anders!

Weiter also, Richtung Escombreras . . . die nächste Überraschung! Ich lande in einem riesigen Raffineriegelände der Repsol. Escombreras ist wohl der zweitgrößte Ölhafen Spaniens, wo Rohöl für die Raffinerie angelandet und verarbeitetes wieder verschifft wird. Auch jetzt im Moment liegen auf der Reede drei Tanker in Warteposition, ein beladener, zwei leere . . . an einer Stelle in dieser gigantischen Chemiearchitektur steht noch eine alte Windmühle verloren herum, ansonsten gibt es da nichts, was nicht mit Erdöl zu tun hat . . . aber irgendwoher muß ja auch der Diesel für den Bus kommen, und so werde ich zum zweiten Mal heute auf die unangenehmen Seiten unseres Lebensstils gestoßen . . .

Escombreras ~ Blick von See

Und der Weg da wieder heraus ist auch nicht unkompliziert. Das erste Schild in Richtung Cartagena, dem ich folge, wird nach einer Weile von einer riesigen Hinweistafel versperrt: Zuläßiges Gesamtgewicht 3,5 Tonnen, Minimalstrafe bei Mißachtung: 1000 €uros! Das ist mir dann doch zu viel Risiko, und ich fahre wieder ein Stück den Berg hinauf bis zum nächsten Cartagena-Schild. Nach einer Weile wieder Schilder, aber 5,5 Tonnen (naja, da lieg ich drüber) und 3 Meter Höhe (das paßt gerade noch! ;-}) Noch weiter zurückzufahren, um die vierspurige Zufahrtstraße zum Ölhafen zu erreichen, will ich jetzt wirklich nicht. Ein bischen Gedanken über die 3 Meter mache ich mir schon ~ obs da wohl Tunnel gibt?
Nein, die Straße wird nur sehr schmal, zum Glück kommt mir niemand entgegen, nur einmal überholt mich ein Motorradfahrer. Das mit den 3 Metern hängt mit Kabeln zusammen, die an einer Stelle über die Straße geführt sind. Allerdings ist die Situation nicht mehr aktuell erfaßt ~ eines der drei Kabel liegt schon verrostet auf der Straße, das hat wohl irgendein LKW heruntergerissen, der sich nicht an die Beschilderung gehalten hat! Böser LKW!

Nachdem ich mich über die zwar neu asphaltierte, aber sehr enge Straße durchs Gebirge gezwängt habe, falle ich sozusagen durch die Hintertür nach Cartagena hinein, das erstmal einen sehr ärmlichen Eindruck auf mich macht. Wirklich heruntergekommene 6-Stockwerk-Blocks, überall Müll . . . Wäsche, die zum Trocknen vor den Fenstern hängt.
Ich beschließe, durch Cartagena durchzufahren und mir danach ein Plätzchen zu suchen . . . im Zentrum am Hafen wird Cartagena richtig repräsentativ, der Weg hinaus wieder mal kompliziert. Erstmal lande ich am Ende einer kilometerlangen Sackgasse erstmal vor dem Tor einer militärischen Anlage ~ Cartagena ist auch ein großer Marinestützpunkt. Also zurück und nach Himmelsrichtung weiter stolpere ich über ein Eroski-Einkaufszentrum. Trotz des Namens hat der Laden nichts an- oder auszügliches, die Eroski-Kette ist Spaniens drittgrößte Supermarktkette und befindet sich in einer Einkaufsgemeinschaft mit der EDEKA-Gruppe. Von Art und Sortiment muß man sich das so vorstellen wie einen Real-Markt oder einen Wertkauf (gibts die Firma noch?).

Nach dem Einkauf beschließe ich, in Sichtweite auf einem toten Ende der vierspurigen Palmenallee zu übernachten, denn inzwischen ist es ~ nach 122 km Fahrt ~ auch schon dunkel geworden und ich müde . . .

Am nächsten Morgen kann ich mir dann genau ansehen, was ich am Abend vorher nur so ungefähr erahnen konnte. Ich befinde mich am Rande einer zwischen Eroski-Markt und Sportstadion sich ausbreitenden Brache, einem Gelände, das zwischen dem Abriß alter Strukturen und dem ausgebliebenen Neuaufbau hängen geblieben ist. Auf der anderen Seite ist eine große Gruppe Schausteller untergekommen, LKW-Auflieger, Wohnanhänger, Teile eines Fahrgeschäfts. Ich stehe zwar auf einer schön angelegten Palmenallee, die aber zwanzig Meter vor mir aufhört und unvermittelt in eine scherbenübersähte Erdfläche übergeht, die nichstdestotrotz von dem letzten Modell des VW-Touareg SUV in reinweiß angefahren wird, damit der Hund zwischen den Scherben seinen Haufen legen kann . . . Kontraste . . .

Um mich herum weht der Wind Plastiktüten, die im Gestrüpp hängenbleiben und als Fähnchen flattern. Jede Menge leere Flaschen, Glas zum Teil in Scherben, aber auch PET in Massen, und auch Einweg Longdrink-‚Gläser‘ aus Plastik, denn hier glüht die Jugend wohl am Freitag vor, wenn sie in die nahegelegene Discothek gehen will. Der Sprit ist billig hier in Spanien, eine Flasche Rum oder Whisky gibts im Sonderangebot schon mal für fünf €uro fünfzig . . . So stellt sich der ordnungsliebende Deutsche das umwelt-un-bewußte Verhalten des verantwortungslosen, schmuddligen Südländers vor . . .

Mal davon abgesehen, daß der Spanier sehr wohl den Müll trennt ~ nur hat nicht jeder seine eigene Tonne, man bringt seinen gesammelten Müll zu den großen Containern an der Straße, die die Gemeinde aufstellt . . . und das funktioniert recht gut so . . .

Mal davon abgesehen, daß ich diese Vorglüh-Orgien und den Müll in der Landschaft auch in Deutschland gesehen habe, habe ich hier in der Hafenstadt Cartagena vor allem deutlich gesehen, daß Spanien mehr von der Krise geschüttelt ist als Deutschland. Viele Projekte bleiben unvollendet, verfallen, es gibt die first-class Architektur und total ärmliche Behausungen, wie man sie in Deutschland kaum mehr sieht. Es gibt die brandneuen Autos (auf Kredit?), viele in der Luxusklasse, und eine Jugendarbeitslosigkeit von über 50% . . . und den Tourismus, diese fremde Parallelwelt . . .