Basteleien an der Technik

Eine Email-Anfrage von Reinhard hat mich darauf aufmerksam gemacht, daß ich die Berichterstattung über die Reparaturen an der Technik des alten Herrn Magirus vernachlässige. Schließlich sind nicht nur die ‚romantischen‘ Bilder von Natur und ab und an ‚Kultur‘ gefragt. In der Gemeinde der Oldie-Liebhaber ist auch die Arbeit an den Zipperlein des alten Herrn interessant. Das sei jetzt hier nachgeholt. Die anderen mögen mir verzeihen und weiterscrollen . . . Also: Voraaan!

Schaltgestänge

von oben durch den Fußboden ~ ersetzter Teil des Schaltgestänges
von oben durch den Fußboden ~ ersetzter Teil des Schaltgestänges

Wie Ende letzten Monats berichtet, hatte sich ein Kugelkopf des Schaltgestänges während der Fahrt verabschiedet und das Getriebe im Leerlauf zurückgelassen. Eine Notreparatur mit einem Stück Gartenschlauch als Polsterung zwischen Kugel und Ring, fixiert mit drei Kabelbindern, hatte zwar die Weiterfahrt ermöglicht, sollte aber (und wurde inzwischen auch) repariert werden.

Original und Nachbau ~ zwei Kugelköpfe und ein Stück Gewindestange M10
Original und Nachbau ~ zwei Kugelköpfe und ein Stück Gewindestange M10

Dazu muß man wissen, daß die mechanische Übertragung der Bewegungen des Schalthebels (vorwärts/rückwärts, links/rechts) vom Führerhaus vorn nach hinten zum Getriebe über eine fast sieben Meter lange Stange erfolgt, hinten dann von links nach rechts zum Getriebe über eine Konstruktion von Parallelogrammen und Wippen ~ jedes Gelenk mit einem Kugelkopf.

Die Kugeln der Original-Winkelstücke waren in Gummi gelagert, das im Verlauf von nun fast 45 Jahren zerbröselt war. Der Ersatz sind Standart-Winkelstücke, in denen die Kugeln paßgenau in eine Stahlschale eingepresst sind, geschmiert durch ein wenig Fett, gesichert durch eine kleine Drahtfeder, dazu ein kurzes Stück Gewindestange M10. Vielleicht nicht so elegant, aber haltbarer, für die nächsten 50 Jahre 😉 Das Stückchen Gewindestange auch neu zu besorgen ermöglichte mir, den Nachbau inklusive der Verschränkung der Winkel und der Spannweite exakt nachzubauen, dadurch ersparte ich mir umständliche Einstellungen.

Da die Erbauer des alten Herrn Magirus zuerst die Fahrtechnik vollendet und erst hinterher das Glashaus aufgesetzt haben, war an das defekte Teil so gut wie gar nicht heranzukommen, und schon gar nicht mit den nötigen zwei Schraubenschlüsseln. Also habe ich von oben, durch den (mit Isolation und Dampfsperre gedoppelten) Fußboden ein Loch gesägt, um den Austausch durchzuführen. Hat auch so einige Stunden Arbeit gekostet, aber jetzt funktioniert das wieder 🙂

Anlasser . . . und was damit zusammenhängt

geöffneter Anlasser am Deutz F6L912 ~ Rotor
geöffneter Anlasser am Deutz F6L912 ~ Rotor

Noch nicht ganz erledigt ist das Problem um den Anlasser. Ich hatte in den letzten Jahren ab und an das Problem, daß ein Zug am Knopf vorne keine Reaktion hervorrief, mit Klopfen auf den Magnetschalter ging es dann irgendwann, meistens. Oder am Berg mit Anlaufen lassen.
Dieses Jahr dann gehäuftes Auftreten, vor allem, wenn der Motor schön heiß war. Also habe ich den Anlasser zerlegt und viel Verschleiß am Kollektor festgestellt. Da allen Abrieb weggebürstet, die Kohlen gesäubert, wieder zusammengebaut und zuerst hat alles wieder gut funktioniert.

Rotor ganz nah ~ Verschleiß am Kollektor
Rotor ganz nah ~ Verschleiß am Kollektor

Bis ich dann auf der Fahrt an einer Tankstelle vor der Zapfsäule festsaß. Peinlich, peinlich! Der Wagen an vorderem und hinterem Rad genau in einer Kuhle festgeklemmt, da ging nichts mehr. Für ein paar Minuten, dann sprang der Motor ganz normal an. Mein Verdacht war, daß der Magnetschalter defekt war. Deshalb hatte ich mich entschlossen, nicht mehr lange herumzumachen und einen neuen Anlasser zu besorgen. In Deutschland alle Angebote um die 380 €uronen, über Ebay aus England bei Manchester Auto Electrical LTD mit Versand 190 €uro. Lieferung recht flott, der Anlasser ist wahrscheinlich in China hergestellt, nicht Bosch aus den 70er Jahren ~ aber was soll’s!

neuer Anlasser, montiert, der alte auf der Stoßstange
neuer Anlasser, montiert, der alte auf der Stoßstange

Nur ist der Motor nach der Montage nicht angesprungen, aber das lag nicht am Anlasser, wohl auch vorher nicht (190 € umsonst versenkt, hinterher ist man schlauer. Aber was solls!) . . . +24V auf die Steuerleitung des Anlassers, und der Motor schnurrte los. Ich gehe inzwischen davon aus, daß ein kleines Elektrikkästchen im Batterieraum, das Magirus Anlassperrschütz nennt, das Problem ist. Das soll wohl bei Spannung zwischen D+ und D- von der Lichtmaschine den Strom auf der Steuerleitung unterbrechen, damit man nicht bei laufendem Motor das Ritzel des Anlassers in die Zähne der Schwungscheibe jagt und die Zähne abmäht.
Vorrübergehend lasse ich den Motor also hinten, bei geöffneter Heckklappe an, in dem ich die Steuerleitung des Anlassers mit + am Anlasser verbinde, das funktioniert ganz gut. Man muß nur darauf achten, daß kein Gang eingelegt ist, und bei kaltem Motor Standgas erhöhen und etwas vorglühen.
Im Internet habe ich unter dem Begriff Anlassperrschütz keine relevanten Beiträge gefunden, und solange ich unterwegs bin, tut es die Improvisation.
Bemerkung nebenbei, weil ich das mal aus Versehen gemacht habe: das Anlassen funktioniert auch, wenn der Zündschlüssel nicht steckt 🙂 Anlasser + ist immer unter Spannung, der Rest ist Mechanik.

technische Ästhetik und weniger schöne Partikel

bogenverzahnte Kegelräder des Winkeltriebs
bogenverzahnte Kegelräder des Winkeltriebs

Nachdem nun der Motorraum gereinigt und mit neuer Korrossionsschutzfarbe verschönert ist, habe ich meiner Neugier freien Lauf gelassen und mal ein Fensterchen zum Winkeltrieb der defekten Kraftübertragungseinheit aufgemacht, um einen Blick hineinzuwerfen. Die Kegelräder mit den geschwungenen Zähnen sehen für mich als Laie noch gut aus, vom technischen und vom ästhetischen Standpunkt aus betrachtet. Ob der Fachmann die Einschätzung auch teilen würde? Schaumermal! Jedenfalls unschön ist ein dünner Bodensatz aus einer Mischung des Hypoid-Getriebeöls mit kaum spürbarem feinstem Metallstaub und ab und an sogar leicht körniger Substanz. Was aber zu erwarten war, der Defekt muß sich ja irgendwie bemerkbar machen . . .

Mehr ist für mich da nicht mehr zu tun. Irgendwo haben sowohl die Kenntnisse als auch die Fähigkeiten des Schraubers ihr Ende, spätestens dann, wenn Spezialwerkzeug nötig ist und eine halbwegs staubfreie Werkstatt mit genügend Platz, um die einhundertvierundsechzig zum Teil mehrfach vorhandenn gelisteten Einzelteile aufzureihen. Von Erfahrung ganz zu schweigen.

Die Informationen aus dem Internet träufeln ganz langsam, eine Anpassung des nicht so recht passenden gekauften Getriebes an den Motor des alten Herrn Magirus scheint eine vielleicht zu aufwendige Angelegenheit zu werden. Insofern tendiere ich im Moment dazu, das alte, defekte Getriebe zu Analyse und wenn möglich Reparatur wegzuschicken. Ein paar Tage werde ich mir noch Zeit lassen, bevor ich mich für einen Weg entscheide. Teuer wird das auf jeden Fall, wobei teuer immer relativ zum eignen Geldbeutel / Bankkonto gemessen werden muß.

Nächste Woche werde ich mir den Motor vornehmen. Reinigen und Ventile einstellen. Vielleicht kriegt der Motorblock einen Hauch Farbe verpasst. Und die Einspritzpumpe sollte auch wieder einmal die eigentlich jährliche Wartung in einer Bosch-Werkstatt bekommen, die sie wahrscheinlich seit Jahrzehnten nicht mehr von innen gesehen hat. Auch da werden reichlich €uronen fließen. Und ich muß nochmal nachlesen, wie genau der Fördebeginn der Reiheneinspritzpumpe eingestellt wird. Neuland allenthalben . . .

Destruktive Phase . . . Work in Progress

Morgen, Arbeitsbeginn, Hintern normal, geöffnet ~ wie man sieht, sieht man einen Motor: Deutz F6L 912
Morgen, Arbeitsbeginn, Hintern normal, geöffnet ~ wie man sieht, sieht man einen Motor: Deutz F6L 912

Nach gut zweieinhalb intensiven Arbeitstagen steht nun der Motor/Getriebeblock auf einem drei Europaletten starken Türmchen separiert da, bereit für weitere Zerlegungsarbeiten. Anders als in einem LKW sind diese Kerningredienzen beim Bus so gut wie möglich versteckt eingebaut, und man sollte es nicht für möglich halten, wie viele Käbelchen, Schläuche, Steuergestänge und Kleinkram bei einem so ‚einfachen‘ Selbstzünder von der Karosserie zu trennen sind, bevor man die Antriebseinheit mit einem Gabelstapler extrahieren kann. Ganz am Schluß, der Block schwebt schon frei auf den Gabeln des Staplers, müssen noch links und rechts Motorlager vom Leiterrahmen des alten Herrn Magirus abmontiert werden, damit man das Gewicht eines Kleinwagens langsam und vorsichtig, links und rechts einen knappen Zentimeter Spiel, aus dem Motorraum ziehen kann . . .

Für heute Feierabend ~ dem alten Herrn Magirus fehlen Heckklappe, Stoßstangen und der aberwitzige Kladderadatsch um die Anhängerkupplung
Für heute Feierabend ~ dem alten Herrn Magirus fehlen Heckklappe, Stoßstangen und der aberwitzige Kladderadatsch um die Anhängerkupplung

Als nächstes steht eine intensive Reinigung der Kraftmaschine an, bevor das Getriebe vom Motor getrennt werden kann. Dann wird vielleicht auch eine eingeschlagene sechsstellige Nummer sichtbar werden, die vorerst letzte Möglichkeit, genauere Kenndaten des ZF S5-30 Getriebes herauszufinden. Dummerweise hat sich nämlich das Typenschild, auf dem diese Dinge normalerweise eingeschlagen sind, irgendwann einmal verabschiedet.

Ausgebautes Schwermetall, massive Träger für zwei Tonnen Anhängelast ~ bis hierhin mit dem kleinen Besteck und Sprühöl
Ausgebautes Schwermetall, massive Träger für zwei Tonnen Anhängelast ~ bis hierhin mit dem kleinen Besteck und Sprühöl

Schwierige und in jedem Fall kostspielige Entscheidungen stehen an. Das vorhandene malade Getriebe wegschicken zur Überarbeitung? Die Zahnradfabrik Friedrichshafen, kurz FZ, teilt mit, daß es für ein Getriebe dieser Generation (1973) nicht mehr alle Ersatzteile gibt. Ein gebrauchtes Getriebe eines ausgeschlachteten Busses einbauen? Es kann ein Getriebe des R80, auch eines des Nachfolgemodells R81 passen. Der hatte aber 10 PS oder aber in der Turboversion 40 PS mehr, wobei wohl auch die Gangabstufungen modifiziert wurden, oder doch nicht? Und ist das gebrauchte Getriebe auch wirklich so fit, daß ich damit noch ein paar Jährchen fahren kann? Einige angedachte Bezugsmöglichkeiten haben sich schon wieder in Luft aufgelöst, es bleibt spannend. Mehr demnächst in diesem Theater!

der alte Herr Magirus ausgeweidet :(
der alte Herr Magirus ausgeweidet 🙁

Jedenfalls ist die Gelegenheit optimal, um sowohl Maschine als auch Motorraum die notwendige Pflege zukommen zu lassen. Zwischen den Kühlrippen des Deutz hat sich auf staubigen spanischen Pisten jede Menge Staub abgelagert, der entfernt werden will. Nie vorher war der Motor so schön zugänglich, um alle Wartungsarbeiten durchzuführen. Und der Motorraum freut sich auf eine Behandlung mit der elektrischen Stahlbürste und einer anschließenden neuen Beschichtung mit Korrosionsschutz. Im eingebauten Zustand ist da nicht dranzukommen . . .

Motor&Getriebe separiert auf Palette(n)
Motor&Getriebe separiert auf Palette(n)
da ist der Wurm drin!
da ist der Wurm drin!
Kupplungsglocke, Winkeltrieb, Schaltgetriebe ZF S5-30
Kupplungsglocke, Winkeltrieb, Schaltgetriebe ZF S5-30

schlechte Nachrichten . . . :(

Metallabrieb an den magnetischen Ablaßschrauben ~ das Getriebe des alten Herrn Magirus malade
Metallabrieb an den magnetischen Ablaßschrauben ~ das Getriebe des alten Herrn Magirus malade

Diesen Artikel habe ich nun einige Zeit hinausgezögert, eine Woche, um genau zu sein. Aber irgendwann, und wenn nicht jetzt, muß es doch einmal heraus: Diese Reise ist vorerst zu Ende, wir befinden uns im Wartezustand.
Denn der alte Herr Magirus hat bei den Klettereien in den Cevennen ein sehr ungesundes Geräusch entwickelt. In den niederen Gängen ein schabendes Dröhnen, das anscheinend überwiegend über Körperschall nach vorn ins Führerhaus übertragen wird. Nur der fünfte und größte Gang hört sich noch normal und schweigsam an, aber damit kann man halt nicht immer fahren. Als ich dann am letzten Sonntag zu Analysezwecken das Getriebeöl abgelassen habe, waren an beiden magnetischen Ablaßstopfen reichlich Metallpartikel zu sehen, die sich zu richtigen Fahnen zusammengerottet haben.

der alte Herr Magirus im Rückspiegel des großen Abschleppwagens
der alte Herr Magirus im Rückspiegel des großen Abschleppwagens

Nun, vor Ort auf dem Parkplatz eines Einkaufszentrums läßt sich da wirklich gar nichts machen, also so gut wie möglich die Metallpartikel entfernt und dann das Öl wieder ins Getriebe gefüllt. Und am nächsten Tag den ADAC kontaktiert, in Ernstfall immer eine hilfreiche Adresse, vor allem im Ausland ohne ausreichende Sprachkenntnisse.
Abgeschleppt mit einem Abschleppmonster für Schwerlastwagen zur Begutachtung durch eine Werkstatt, Auftrag für den Heimtransport des guten Stückes . . . denn wir sind um die fünfhunder Kilometer weg von Freiburg, die Strecke möchte ich dem alten Herrn Magirus in dem Zustand nicht zumuten.

wieder abgehängt ~ im Vordergrund das Abschleppmonster
wieder abgehängt ~ im Vordergrund das Abschleppmonster

Seither warten wir auf den Transporter, aber das zieht sich hin. Denn für uns wird natürlich keine Extrawurst gebraten, klar. Der alte Herr Magirus wird auf einer Sammeltour aufgepickt, dann erst einmal in einem Depot abgestellt, bis er auf einer Auslieferungstour da hingebracht wird, wo ich mich dann um die Heilung kümmern kann, entweder Reparatur oder Tausch des Getriebes. Einen festen Termin gibt es weder für die Abholung noch für die Auslieferung, der Auftrag ging an eine Fremdfirma, und zu der kein Kontakt. Nach Info des ADAC kann diese Chose zwei bis drei Wochen dauern, von denen jetzt knapp eine vergangen ist.

der alte Herr Magirus unter dem Schutz der Jungfrau höchstpersönlich
der alte Herr Magirus unter dem Schutz der Jungfrau höchstpersönlich

Gutes gibt es aber auch zu berichten. Tips von sachverständigen Freunden zum Beispiel. Eine unkomplizierte Zusage für ein Asyl für den alten Herrn Magirus und seinen dienstleistenden Reparateur 🙂 Und hier vor Ort sehr hilfsbereite Menschen, die einem Wildfremden aus der einen oder anderen Klemme helfen. Und wenn man sich bedankt für diese Hilfsleistungen, die ungefragt an einen herangetragen werden, heißt es nur: C’est normal! Iiiich finde es eher außergewöhnlich und phänomenal! Habt Dank, alle miteinander! Mercie bien!

und beschattet vor der heißen Sonne von einer freundlichen Linde
und beschattet vor der heißen Sonne von einer freundlichen Linde

Und so verbringen wir diese Wartezeit unter dem Schutz vor allen Unbillen des Schicksals der heiligen Jungfrau persönlich und und der heißen Sonne von einer großen und einer kleinen Linde, plus zweier Betula Pendula als Assistenz ~ man könnte es bei allem Pech schlechter erwischt haben!