das Phantom :( ~ nachgefaßt

Da ist sie also wieder, in einem durchaus lieb gemeinten Kommentar, die Frage: Nachgearbeitet? Und dabei hatte ich gedacht, auf dieser Seite das Thema schon totgeritten zu haben . . . nun denn, auf ein Neues!

Werkzeug: Sony Alpha 6000, Box, Netbook
Werkzeug: Sony Alpha 6000, Box, Netbook

Die Frage fußt in der impliziten Vorstellung, daß es irgendwo da draußen in der weiten Welt der Photographie ein unbearbeitetes, originales Bild gäbe, unverfälscht und wahr . . . dieses Bild ist, war, wird immer sein ~ ein Phantom! Und zwar in jeder Ebene, sowohl der analogen Photographie in der einfachsten Form, repräsentiert durch die analoge Boxkamera in der Mitte des Bildes, also auch in der modernsten Digitalphotographie, auch in der Form der ‚Out-of-Camera-JPGs‘, in den Medien und sogar im Bild, das das unbewaffnete Auge uns liefert, sozusagen als Referenz des ‚wahrhaftigen‘ Bildes.

Laßt uns mit der Box anfangen, der Urform der Amateurphotographie. Filmformat 6×9 cm, zwei Reflexsucher, einen für Hoch-, einen für das Querformat, fixe Blende, fixe Verschlußzeit, das wars schon fast. Zu der Zeit gehörte die Farbphotographie noch zu den Zukunftsträumen, es wurde Schwarzweiß photographiert, deshalb gehörte ein einschiebbarer Gelbfilter dazu, mit dem man den blauen Himmel etwas dunkler, Blattgrün und die menschliche Haut ein wenig heller machen konnte. Ein wenig Kontrastbeeinflussung also, das wars. Wenn man den Film zum nächsten Photohändler zum Entwickeln und Ausbelichten von Papierbildern gab, hatte man keinerlei Einflußmöglichkeiten mehr auf die Gestaltung des Bildes. Gnadenlos ausgeliefert war man allerdings den Schwankungen, die der Negativ- und Positivprozess beim Dienstleister verursachte. Welcher Negativentwickler wurde benutzt, war der frisch angesetzt oder schon alt, ausgelutscht schon am Ende seiner Kapazität? Wie wurde welches Papier belichtet und entwickelt? Wer die Mühe und die Kosten nicht scheute, konnte sich die Utensilien eines eigenen Photolabors anschaffen und hatte dann viele Möglichkeiten, auf die Ausarbeitung und Gestaltung jedes Bildes Einfluß zu nehmen, inklusive Ausschnitt, Helligkeit, Kontrast, perspektivischer Ver- und Entzerrung. Aber egal, ob man das machen ließ oder sich selbst in die Dunkelkammer gesetzt hat, bearbeitet wurde auf jeden Fall!

In der weiteren Entwicklung der Photoindustrie, vor allem im Zug des Aufstiegs der farbigen, wurden die Prozesse immer weiter standartisiert, um zu wiederholbaren Ergebnissen zu kommen. Ein Farblabor in Amateurhand blieb, weil die Prozesse nur aufwendig und kostenintensiv zu beherrschen waren, eher die Ausnahme. Um zu ansehnlichen Ergebnissen zu kommen, wurden die Kameras mit Sensoren (Belichtungsmesser) ausgestattet und schließlich auch mit Automatiken, die Blende und Verschlußzeit steuern konnten, zuerst einfach elektrisch angezeigt und mechanisch gekoppelt, dann ‚elektronisch‘ und schließlich sogar programmgesteuert, computerprogrammiert. Und des Amateurs liebstes Kind, der Autofokus, trat seinen Siegeszug an. Auch die Belichtungsmaschinen in den Labors wurden mit ‚Intelligenz‘ ausgestattet, analysierten die Negative und steuerten Belichtungszeiten und Farbgleichgewicht über Filter automatisch nach, um so gut wie möglich ein so-hätt-das-unter-optimalen-Bedingungen-aussehen-können Papierbild zu ergeben. Bearbeitet also auch da, der Einfluß des Photographen allerdings sehr eingeschränkt.

Mit der Entwicklung der digitalen Photographie und den dazugehörigen Bildbearbeitungsprogramme änderte sich das dann radikal. Selbst die billigste Kamera war ein kleiner Computer, der auf irgendein Motiv gehalten eine binäre Bilddatei ausspuckte, die mit einem Bildbearbeitungsprogramm optimiert oder bis ins Unerkennbare verändert werden konnte. Und ab da tauchte dann unvermeidbar auch die Frage auf: (Nach-)Bearbeitet oder nicht? Und was ist der Maßstab, die Referenz?

Nun, bearbeitet auf jeden Fall, das fängt schon bei der Auswertung und Interpolation der vom Sensor erzeugten Bildinformationen an, bevor überhaupt eine Bilddatei abgespeichert wird. Und geht weiter mit der Vorbereitung der Bildinformationen zur Abspeicherung im Standartformat der Digitalkameras, JPEG, das mit einer Kapazität von acht Bit pro Pixel nur recht eingeschränkte Bildinformationen aufnehmen kann und zusätzlich noch mehr oder weniger stark verlustbehaftet komprimiert wird. Vereinfacht ausgedrückt kombiniert die Digicam die Manipulationen nach eingestelltem Motivprogramm mit den so-hätt-das-unter-optimalen-Bedingungen-aussehen-können aus den vorher erwähnten Analogbelichtungsmaschinen, schärft je nach Einstellung des Users und/oder Gusto des Kameraherstellers nach, komprimiert die Bildinformationen und schreibt die dann auf eine Speicherkarte. Von wo sie dann von einem Computer ausgelesen und ~ weiter ~ verarbeitet werden kann.

Auch die Abspeicherung der besseren Digicams im markenspezifischen RAW-Format ist nicht ‚unbearbeitet‘. Denn die Interpolationen des Bayer-Mosaiks samt auch dadurch notwendiger Nachschärfung sind je nach Hersteller und Kamera durchaus unterschiedlich und werden zum Teil noch ~ allerdings verlustfrei ~ komprimiert. RAW-Dateien müssen zudem in jedem Fall entwickelt, sprich mit den Stellschrauben der möglichen Parameter von Helligkeit, Kontrast und Farbgleichgewicht, um nur die einfachsten zu erwähnen, nach-bearbeitet werden. Also auch hier: das unbearbeitete Bild ist ein Phantom!

Gut, und wie ist das nun mit dem menschlichen Auge, der Referenz des Sehens? Mal ganz abgesehen davon, daß wir binokular/räumlich sehen, abgesehen davon, daß das in uns erzeugte Bild nicht als rechteckige Fläche vor uns schwebt, sondern daß wir uns sozusagen mitten in einer 360°-Bilderkugel ohne Grenzen befinden, abgesehen davon, daß sowohl Schärfe als auch Iris/Blende je nach Punkt der Aufmerksamkeit in Bruchteilen von Sekunden nachgeregelt werden . . . dieses Rundumbild wird im Gehirn, unserem Sehzentrum, aus den Reizen, die in der Retina, dem Bio-Bildsensor in unseren Augen, erzeugt werden, wie in einem Panoramastitcher zusammengesetzt, nachgeschärft, in Richtung Standartfarbgleichgewicht nachgeregelt. Unser optisches Bild ist eine Interpretation, und die ist immer individuell. Auch hier bleibt das unbearbeitete Bild ein Phantom!

Es wird Zeit, daß sich der Konsument von Photos darüber klar wird, daß er immer eine Interpretation von Wirklichkeit vor Augen hat und nicht die Wirklichkeit selbst. Der/die engagierte PhotographIn sollte zudem die gestalterischen und technischen Prozesse verinnerlichen, die schon vor dem in-die-Hand-nehmen der Kamera, vor dem Auslösen, danach in der Kamera und zum Schluß in der Nachbearbeitung im Computer ablaufen, um das Bild zu erzeugen, das sie oder er seinem Betrachter zeigen will . . . und er oder sie muß sich bei aller Ähnlichkeit der Prozesse in unserem Gehirn und der Kamera plus Computer auch der Unterschiede bewußt sein, um nicht von den Ergebnissen enttäuscht zu sein. Oder er schert sich den Teufel darum und zeigt sie trotzdem, auch im Internet! 🙂

So, und jetzt will ich mich auch nicht um die konkrete Antwort auf die Frage nach meinen persönlichen Bildern drücken, am Beispiel einiger Bilder der vergangenen Tage . . . dazu vorab einige Bemerkungen über mein Handwerkszeug:

Wie man oben sieht, benutze ich eine Sony α 6000 über Adapter mit alten vollmanuellen Pentax-Objektiven. Oder, vom Kopf auf die Füße gestellt, ich benutze die Sony als digitales Rückteil für meine manuellen Objektive. Auf dem Bild ist das 28mm Objektiv zu sehen, an Kleinbild ursprünglich ein größeres Weitwinkel, ist es für die Sony mit dem APS-C Sensor das Normalobjektiv (28mm entspricht ungefähr der Sensordiagonale). Da Blende und Fokus manuell am Objektiv geregelt werden, kümmert sich die Sony als Zeitautomat nur um die Belichtung.

Die Photos werden als RAW in der vollen Auflösung von 24MP und parallel zur schnellen Übersicht und für die vereinfachte Verarbeitung unterwegs im Netbook als 6MP-JPG-Datei abgespeichert. Für die RAW-Dateien uninteressant, da wird das erst im Entwicklungsprozess gemacht, ist für die JPGs die Farbtemperatur auf 6000° Kelvin, also Tageslicht eingestellt. Ich verhindere damit, daß die für mich so interessanten Veränderungen der Farbtemperatur im Tagesablauf (z.B. in Richtung Rot/Gelb an der Schnittstelle zwischen Tag und Nacht) vom automatischen Weißabgleich herausgeregelt werden, ich mache das, wenn nötig, lieber nachträglich manuell. So wie ich das will.

* Abendhimmel über der Brücke zwischen Deltebre und St.Jaume *
* Abendhimmel über der Brücke zwischen Deltebre und St.Jaume *

Die Photos von der Abendstimmung über der Brücke im letzten Beitrag fand deswegen etwas unbefriedigend, weil ein winziges Bildchen auf einem Monitor bei aller Liebe eben nicht den Eindruck des unter-dem-Himmel-stehend erzeugen kann. Man müßte sich sozusagen das Bild über den Kopf ziehen können wie eine Bettdecke, und dann weit genug von den Augen weghalten 😉 Die purpurnen Wolken über der Brücke springen dann riesengroß direkt ins Auge. Ihr versteht, was ich meine . . . die Bilder sind um ca eine Stufe unterbelichtet, eine Vorgehensweise aus der analogen Photographie mit Diafilm. Das macht die Farben etwas intensiver, je heller, desto blasser werden die Farben. Ohne diesen Eingriff würde die Belichtungsautomatik die Belichtung auf mittlere Helligkeit hochziehen (also ‚verfälschen‘?), so ist sie programmiert. An Farbtemperatur und Farbgleichgewicht mußte ~ siehe oben, 6000°K ~ nichts geändert werden. So gut wie alle Bilder im Blog sind auf 640 bzw die vergrößerbaren wie das obige 2000 Pixel Breite skaliert und im Lab-Modus nur im L-Kanal (L=Luminanz, Licht, Helligkeit)unscharf maskiert. Dadurch werden nur die hell/dunkel-Konturen leicht nachgeschärft, während Farbkontraste unbeeinflußt bleiben und auf diese Weise ein eventuell vorhandenes Farbrauschen nicht ungewollt verstärkt wird.

* Abendhimmel über der Brücke zwischen Deltebre und St.Jaume *
* Abendhimmel über der Brücke zwischen Deltebre und St.Jaume *

Das obige Bild ist, um einen größeren Bildwinkel zu erreichen, aus zwei Photos mit Hugin gestitched. Und da habe ich tatsächlich, um den in meiner Erinnerung sehr viel stärkeren Farbkontrast zwischen Himmel und Straßenbeleuchtung links im Bild und auf der Brücke zu steuern, wieder im Lab-Modus, diesmal nur die Farbkanäle a und b manipulierend, über das Bild eine knallig bunte Ebene gelegt, die ich dann so weit transparent gemacht habe, daß der Gesamteindruck zusammen mit der Originalebene gestimmt hat. Vielleicht hätte man das noch einen Tick runterregeln können, nun ja! Ich benutze übrigens nicht Photoshop, das Lab nur rudimentär beherrscht, sondern PhotoLine32, ein sehr fittes Sharewareprogramm, das auch um einiges billiger ist (Lizenz nach Probezeit 69 €, Versionen für Windows und Mac).

Nachtrag: inzwischen habe ich das Photo noch einmal nachgearbeitet :), die Intensivierung im Lab-Modus etwas schwächer und neutraler, dafür in der darunterliegenden Ebene die Gradationskurve für die Mitteltöne noch sanft angehoben, um mehr Einzelheiten hervorzuheben . . . wer sieht den Unterschied?

* Abendhimmel über der Brücke zwischen Deltebre und St.Jaume ~ neue Fassung!*
* Abendhimmel über der Brücke zwischen Deltebre und St.Jaume ~ neue Fassung!*

Während bei den obigen Bildern die Intention die war, möglichst nah an den Seheindruck heranzukommen, scheue ich mich auch nicht, rabiatere Mittel anzuwenden, wenn es der Sache, will heißen, dem Bild dient, das ich im Kopf habe. Wie zum Beispiel dem Hippopotamus. Das Original war aus rosarotem Kunststoff hergestellt ~ ich bitte euch, ein rosarotes Nilpferd? Sah aus der Entfernung aus wie ein Schwein 🙁 Also flux die Hintergrundebene dupliziert, bei der oberen Ebene mit einem Klick das Schwein transparent gemacht, auf der unteren Ebene die Farbsättigung auf Null reduziert, fertig war das Hippopotamus!

Hippopotamus im Ebro-Delta!
Hippopotamus im Ebro-Delta!

Nun, das war auch nur das Bemühen, der Erwartungshaltung des Betrachters gerecht zu werden. Ein Nilpferd ist nicht rosa, sondern grau. Punkt! Beim Photo unten habe ich eine in der Natur nur ansatzweise vorhandene Farbigkeit und den Kontrast so auf die Spitze getrieben, daß ein wahrlich psychedelischer Trip entstanden ist. Und wieso auch nicht? Ein Photo ist ein Photo ist ein Photo. Und was zählt, ist nur das Photo, und sonst nichts . . .

carrepeitera surf club und bar
. . . leicht psychedelisch ~ carrepeitera surf club und bar ~ momentan geschlossen ;-}

Eine Antwort auf „das Phantom :( ~ nachgefaßt“

  1. Lieber Ralf 🙂 ,
    aha, da war sie also, die anspruchsvollere Frage 😀 , auch wenn das Thema für Dich schon hinreichend behandelt worden zu sein schien 😉 . Dir als Profi mit jahrzehntelanger Erfahrung mag das so vorkommen, der Laie wächst da erst ganz langsam rein…
    Hab ganz herzlichen Dank für Deine anschaulichen Ausführungen und die Verweise zu den anderen Artikeln. So wird das langsam zum richtigen Fotokurs 😉 !
    Deinen Nachtrag hab ich gesehen und empfinde hier die Farben natürlicher, obwohl ich nicht life mit dabei war. Mein Gehirn hat das so abgespeichert. Deshalb, ganz subjektiv, gefällt mir das besser. Die Farben im vorhergehenden sind freilich origineller, aber da geht’s dann eher um die Fragen: was will ich mit meinem Bild zeigen, wen möchte ich ansprechen? Das : wie komm ich dahin, hast du prima erklärt. Für mich, die ich erstmal das große Ein-mal-Eins lernen muss, ist das schon höhere Mathematik 😉 🙂 und wird auf „später“ verschoben.
    Denn, wie Du richtig sagst, die Grundlagen sind erstmal wichtig…
    Nur das Allerbeste wünscht Dir
    Birgit (dankbar 🙂 )

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