Es gibt Dinge, die kann ich nur beschreiben, denn das Reisen mit dem alten Herrn Magirus legt mir hier in den Voralpen einige Beschränkungen auf, die mit der im Verhältnis zu unserer Breite doch oft sehr schmalen Straßen zu tun hat. Die D2 und D3 zwischen meinem letzten Beitrag und Nizza gehört ganz sicher dazu. Das fängt bei den Clue de Gréollières an, wo es nach langen geraden Strecken plötzlich in eine immer enger werdende Kurve geht, die man nicht zu schnell nehmen sollte. Als Mahnung liegen die Überreste eines Peugeot neben der Straße, der sich offensichtlich mehrfach überschlagen hat. Wie gesagt, die Gallier sind oft ganz schön flott unterwegs, in Spanien geht es, vor allem im Gebirge, sehr viel ruhiger und gelassener zu! Die Clue sind ein atemberaubender Canyon, nur muß ich mich aufs Fahren konzentrieren, Gelegenheiten, mal eben anzuhalten und zu photographieren ~ mau! Weiter geht es am Abhang der Montagne de Cheiron hinunter nach Gréollières, ich saaach euch! Die Straße windet sich, an die Felsen geklebt, beziehungsweise auch öfters wie im Schweizer Käse durch die Felsen gehauen, am nördlichen Ende des tiefen V-förmigen Tals entlang, auf der anderen Seite fast noch steiler die Wand zum Aufstieg zum Plateau Cipières. Sinnigerweise macht irgendein Automobilklub eine Art Schnitzelfahrt durch die Gegend, sodaß ich immer mit mir entgegenheizenden Sportfahrern rechnen muß ~ nun denn, man gönnt sich ja sonst nichts!
Rechts abgebogen ins Tal des Loup geht es genauso eindrucksvoll wie spannend weiter. Eine Cascade, ein Wasserfall, der direkt neben der Straße heruntergeht, aber leider kein Parkplatz in unserer Größe. Sportfahrer wie gehabt, Fahrradfahrer zusätzlich, und dazu überhängende Felsen, die mir den Adrenalinpegel hochhalten. Absolut keine Lust, mir nochmal das Dach anzuschrammeln wie vor Jahren in den Pyrenäen. Aber die Landschaft, soviel ich aus den Augenwinkeln erspähen kann, einfach Wow! Links abgebogen nach dem Tal des Loup in Richtung Vence. Die Felsen hören auf, aber die nicht breiter gewordene Straße ist von Bäumen umzingelt, eine wunderschöne Allee. Der Verkehr immer dichter, wir ziehen eine Schlange von PKWs hinter uns her, die ich ab und an, wenn sich die Gelegenheit bietet, vorbeirauschen lasse. Dank ist mir sicher. Aber erst nach dem Ärgern . . . in Vence eine verirrte Stadtrundfahrt, weil ich mich nicht vorher orientiert hatte (wann denn?) und zum einen Carros und Cagnes durcheinandergebracht und zum anderen kein Schild gesehen hatte. Der alte Herr Magirus wird mit Handy gefilmt. Aus Begeisterung oder aus Ärger? Nix genaues weiß man nicht!
Der Abend sieht mich 25Km vor Nizza, in einem Industriegebiet am Hang, stark nach vorne geneigt. Es ist eng in der Gegend, und stark bevölkert. Untern im Tal des Var gibt es zwar große grüne Flächen, aber da ist Landwirtschaft, eingezäunt und nichts für uns. Nun, für die Nacht wird das gehen.
Es wird Zeit, nach Italien hinüberzuwechseln, aber vorher wollte ich am nächsten Tag noch einmal ein paar Ladungen Wäsche durch die Trommeln jagen. Im Internet habe ich den Waschsalon in Nizza herausgesucht, der am weitesten vom Zentrum entfernt ist, aber eine Garantie ist das nach Erfahrung nicht. Schaumermal, Google navigiert, wir baggern uns mühsam im Stop and Go zuerst die Küstenstraße entlang, dann links-rechts-links und auf die Stadtautobahn, rauf die Brücke, runter von der Brücke, irrer Verkehr, immer wieder Stau, die Mopppets und Roller, die sich überall durchwinden, machen das nicht stressfreier. Wer sich nicht rechtzeitig zwei Kilometer vor dem Abbiegen richtig einordnet und dann in der falschen Spur steht, wird gnadenlos ausgehupt. Das geht nicht nur dem Ausländer so, gerechterweise auch den Einheimischen. Fraternité, Egalité halt 🙂
Das mit der Wäsche wird NIX! In die Straße trau ich mich erst gar nicht rein, obwohl mich Google von der falschen Seite in die schmale Einbahnstraße locken will. Zweimal ums Carré gefahren, da wird in einer Woche mit sieben Sonntagen kein Parkplatz für uns frei 🙁 Ich such uns provisorisch ein Ziel im Nordosten, geb das Google ~ nix wie raus aus dieser verrückten Stadt! Google versucht, uns durch einen Tunnel zu lotsen, der mit einer Höhe von zweisechzig um vierzig Zentimeter zu niedrig ist. Pffft! Während ich mich obenrum ohne Führung durch die Stadt winde, wähnt mich Google tatsächlich im Tunnel. Bildschirm auf Nacht. Mein Gott, keiner ist halt perfekt 🙂 Jedenfalls bin ich froh, als die Häuser weniger und die Straße stressfreier wird, beschließe, die rot angemalte, also größere Straße nach Escarène zu nehmen. Die entpuppt sich nach Schild als ‚Pénétration de Peillon‘ – ob das wohl genderpolitisch korrekt ist? Weiter dann auf einer gelben Straße ins Gebirge, Richtung Nordost, zum Col de Braus ~ ich will ja nach Italien. Im Abbiegen registriere ich ein Verbot für LKW, mit einem Zusatzschild ~ Länge 10 Meter? Nicht genau gesehen, lassen wir uns überraschen!
Es wird schön. Aber auch schön anstrengend. Für uns beide. Das Sträßchen windet sich zuerst durch eine schmale und schöne Schlucht, dann geht es in Schlaufen aufwärts, siehe die ersten beiden Bilder. Zeitweise durchschnittlich neun Prozent Steigung, anstrengend für den alten Herrn Magirus, dann auch eine Serpentine nach der anderen, in der wir von Gegenspur zu Gegenspur die ganze Straße brauchen, um herumzukommen, jedesmal herunterschalten in den zweiten Gang, den ich normalerweise zum Anfahren nehme. Anstrengend für mich. Irgendwann ist mir die Schalterei zu viel, ich lasse den Zweiten drin, schön langsam ziehen wir den Berg hoch. Auf die Art bleibt der Motor auch viel kühler.
Fehlt da nicht was? Ahhhja! Ich hab mir wieder instinktiv erstens eine wunderschöne, anspruchsvolle Strecke ausgesucht, und natürlich die, auf dem der Automobilklub heute seine Schnitzeljagd veranstaltet. Ich laß die Heizer vorbei, wenn es grad eine Gelegenheit gibt, und grüße freundlich lächelnd die Mannschaft der Kontrollstationen. Das Leben ist schön 🙂
Alle Kilometer fährt man an einem Schild vorbei, auf dem die Höhenmeter, die Höhenmeter zur Paßhöhe, die Steigung und die verbleibende Distanz angezeigt wird, und das zieht sich, von Serpentine zu Serpentine. Aber irgendwann sind wir oben angekommen ~ Arrivée!
Ich bin erst mal ziemlich ausgelaugt. Zwei Stunden stressige Fahrt, es wird Zeit, den Frühstücksjoghurt zu ergänzen. Durch eine Lücke in den Felsen auf einen Waldweg, geparkt in Schräglage, aber mit Aussicht, gibt es etwas zwischen die Kiemen. Ganz langsam kehrt Ruhe ein. Pause. Grad mal nichts tun . . . dafür schafft sich da draussen auf dem Waldweg der kleine Sisyphos einen ab. Schiebt eine Riesenkugel vor sich her, bergauf, da kennt er nix! Wird es vorwärts zu schwer, legt er den Rückwärtsgang ein und weiter gehts. Im Ägypten war er ja heilig, der Pillendreher, Skarabäus. Man braucht ein Vorbild, um die Klötze auf die Pyramide zu schleifen!
Ich selbst entschließe mich zu einem ausgiebigen Spaziergang, auf dem ich einen göttlichen Platz für uns finde, direkt über dem Talkessel, in dem siebenhunderfünfzig Meter tiefer Sospel liegt, ringsum mit Eichen und Pinien bewachsene Berge, die in der zweiten Reihe tragen Schneehäubchen auf der Spitze und sollen 2686 beziehungsweise 2872 Meter hoch sein. Eine große Schafherde mäht kreuz die quer über den Hügel, gelassen beaufsichtigt von einigen freundlich wedelnden Hütehunden. Es ist warm, die Sonne lacht, und ich brauche eine ausführliche Fahrpause . . .
Bis ich aber zum alten Herrn Magirus zurückgelaufen, zum Teil im Kriechgang den Berg wieder hoch und drum herum gefahren bin, ist eine tiefschwarze, dicke Wolke von Norden über die gegenüberliegenden Berge gequollen. Unten im Ort müssen sie wahrscheinlich die Straßenbeleuchtung anschalten, so duster ist es. Oben bei mir scheint noch die Sonne, aber bald kommt das Gewitter mit Sturm und Hagel bis zur Kichererbsengröße auch zu mir, ich sitze gut geschützt im alten Herrn Magirus und schaue gebannt zu. Nach einer Stunde ist der Weltuntergang schon wieder Geschichte, die Hagelkörner fangen in der Sonne an wegzuschmelzen, auch der Schnee, der die Hänge der Berge in der zweiten Reihe bedeckt, wird schnell wieder weniger. Die Schafe kommen wieder vorbeigemäht, schauen neugierig (sind eben auch nur Menschen! Wenn die, die das Mäh-hen haben, in eine Richtung laufen, laufen die anderen hinterher. Mir kommt das Mäh immer irgendwie mies gelaunt vor, aber ich bin halt kein Schaf . . .), was da für ein Mensch gekommen ist, die Hunde kontrollieren, ob ich ok bin, gehen auf Tuchfühlung, stehen mir auf die Schuhe, wollen ausgiebig gestreichelt werden . . . der Schäfer kommt erst am nächsten Morgen zu einem Schwätzchen, die drei großen Hunde sind Patous, Herdenschutzhunde, die zwei kleineren die eigentlichen Hüte- und Treibhunde. Schon wieder was gelernt! 🙂