Da der ~ gut dressierte ~ Mensch sich um die Jahreswende Gedanken über sein Leben macht, vielleicht sogar fürs neue Jahr Vorsätze faßt, die in aller Regel nicht in die Realität umgesetzt werden, habe ich mir in diesen müßigen Stunden ohne die Vorbereitung auf ein Krachbummfeuerwerk und / oder eine ausgiebige Schlemmerei durch den Kopf gehen lassen, wieso ich so regelmäßig und viel Sonnenauf- und Sonnenuntergangsbilder photographiere; und die über diesen Blog auch noch der Öffentlichkeit aufs mehr oder weniger geneigte Auge drücke.
Nun habe ich ja das Glück, daß diese Bilder bei mir zu einer Zeit anfallen, da bei euch oben in Deutschland sich die Sonne eher selten und vor allem kurz zeigt, sodaß der Sonnenmangel zu einer vermehrten Sensucht nach ihr und damit zu erhöhter Toleranz diesbezüglich führt: Glück gehabt 😉
Normalerweise aber ist der moderne Mensch in unserer Zuvielisation mit sowas wie Sonnenaufgang eher nicht konfrontiert. Morgens klingelt der Wecker, Mensch quält sich gezwungenermaßen aus den Federn und bereitet sich auf seine staatsbürgerlichen Pflichten in der marktkonformen Demokratie vor, um das Wachstum des BIP zu garantieren. Er trottet ins zentralgeheizte Badezimmer, schaut, ob er den Menschen im Spiegel wiedererkennt, wenn nicht, dann ab unter die Dusche. Frühstück, Mantel über und auf zur Arbeit, schön, wenn man die Sonne im Lauf des Tages mal zu Gesicht bekommt . . .
Nicht, daß ich das nicht auch gehabt hätte. Dazu einige Jahre, in denen ich lang vor Sonnenaufgang um vier Uhr morgens zur Arbeit angetreten bin. Einige Monate, in denen ich vor Sonnenaufgang im Neonlicht einer geschlossenen Konsumanstalt abgetaucht und nach Sonnenuntergang wieder in die dunkle Kälte der Republik entlassen wurde. Länger hab ich das nicht ausgehalten. Zusätzlich dazu etliche Jahre, in denen ich nachts im Kunstlicht eines Reinstraums zur Mikrochipherstellung mein Geld verdient und den Tag mehr oder weniger verschlafen habe. Da konnte ich, zumindest in der Übergangszeit, bevor wieder auf Sommerzeit umgestellt wurde, das Morgenlicht auf der täglichen Fahrradfahrt zum heimischen Bett genießen. Und es war ein Genuß nach der Nacht, das könnt ihr mir glauben!
Bei dieser Art zu leben jetzt, wenn ich morgens im Winter unter meinen drei Decken hervorkrabble bei Temperaturen im meist niedrigen einstelligen Bereich oder auch mal unter Null, je nach dem die Heizung anschalte, die eine Weile braucht, um auf Touren zu kommen, mir meine 6-Tassen-Kanne Expresso auf den Gaskocher stelle und mich anschließend an den Tisch in den warmen Luftstrom der Heizung setze, um die Entwicklung der Morgenröte und vor allem das Auftauchen der Sonne aus dem Meer nicht zu verpassen, ist das jedesmal ein sehr intensives und überwältigendes Erlebnis. Licht! Wärme! Leben!
Jedes Leben auf dieser Erde ist mit wenigen Ausnahmen von Bakterien, die in der Tiefe der Ozeane an irgendwelchen Schwefelquellen nuckeln, direkt oder indirekt abhängig von der Energie, die ‚unser‘ Stern abstrahlt. Da kann man sich dann auch sehr gut vorstellen, wie Menschen der Urzeit nach einer frostigen Nacht sehnsüchtig das Erscheinen des Lichts und der Wärme erwartet haben ~ und die Sonne angebetet als Gott. Und sie genauso gefürchtet haben als Haut und Hirn verbrennende Gewalt, wenn in einer heißen Steppe kein Schatten zu finden war.
Der moderne naturwissenschaftlich gestählte Mensch verkneift sich jegliche religiöse Spinnereien, da oben im Himmel hängt ein großer Fusionsreaktor, der Wasserstoffatome zu Helium verbrennt, und basta! Auch wenn der Mensch im Vergleich zu deren Energieumsatz nur ganz klitzekeine Wasserstoffbömbchen zustande bekommt (mit denen er unsere Erde zwar dennoch ziemlich ruinieren könnte und vielleicht auch wird, wenn man sich unsere Führungseliten so anschaut), und etwas Nützliches schon gar nicht . . . wieso sollte man vor einem glühenden Haufen Gase so etwas wie Respekt haben?!? Man muß dem €uro und dem $ollar hinterherlaufen, nur dann geht’s uns gut!
Und auch eine ganz persönliche Erinnerung ist leise klopfend wieder aufgetaucht aus dem großen Vergessen. Wie ich als Kind in der verwirrenden Zeit nach der Trennung der Eltern, morgens in aller Frühe, aus dem Bett gerissen und eingekleidet wurde, um bei der Nachbarin abgeliefert zu werden für die Zeit bis zum Kindergarten. Denn die Mutter mußte ja arbeiten, Frühschicht, um den Lebensunterhalt zu verdienen. Ich hab mich nirgens mehr aufgehoben, nirgends behütet gefühlt. Aber da gab es diese eine Ecke im Hof an der gegenüberliegenden Hauswand, wo ein Regenfallrohr von oben in der Kanalisation verschwand. Da, genau an dieser Ecke, da tauchte der erste Sonnenfleck des Tages auf, und mit ihm Licht, Wärme, Hoffnung und Leben. Und genau da habe ich jeden Morgen kauernd gewartet, bis sie da war . . . das ist mir anscheinend geblieben 😉