Nicht wundern, ich finde sie einfach interessant, diese französischen Friedhöfe. Diesen hier, den Friedhof von Sury-le-Comtal, gibt es laut Tafel am Eingangstor mindestens seit dem XIIIten Jahrhundert. Nicht daß da noch solch ganz alte Gräber zu bestaunen wären, aber schon welche, an denen die Spuren der Zeit nagen, der Vergänglichkeit der Dinge ~ und des menschlichen individuellen Lebens. Genug Stoff, über den die Dame oben sinnieren könnte, wenn sie denn nicht aus Stein wäre.
Was auf einem Friedhof auf jeden Fall lebt, ist die Symbolik als Ausdruck für die Vorstellungen vom Tod als Antagonisten des Lebens, und für die Fassungslosigkeit, die uns letztlich befällt, wenn ein uns naher Mensch aus dem Leben scheidet. Für uns selbst bleibt der Tod, das definitive Ende des eigenen Lebens, nicht mehr zu sein, letzlich unvorstellbar. Was ist, wenn unsere Zeit abgelaufen ist, der Sand in der Uhr nach unten durchgerieselt ist? Gibt es eine ‚unsterbliche‘ individuelle Seele, die den Tod des Körpers überdauert, wie auch immer? Ist diese Seele im Körper gefangen, kann dieses Gefängnis erst nach dem Tod verlassen, zu fliegen, wohin auch immer?
Das Bild von der Seele hat in den letzen hundert, hundertfünfzig Jahren eine starke Veränderung erfahren, weg vom christlichen Bild zur Begrifflichkeit der modernen Psychologie, und mit den siebziger und achziger Jahren des letzten Jahrhunderts in eine breitgestreute ‚esotherische‘ Interpretation des Wortes, zu was immer es auch bedeuten mag. Ich erinnere mich an eine Sammlung von Sponti-Sprüchen, die sich im Buch von James A. Michener, ‚Die Kinder von Torremolinos‘ oder amerikanisch ‚The Drifters‘ befanden. Ein Buch über die Hippie-Revolution. ‚Von ihnen werden es jeden Tag weniger, von uns jeden Tag mehr‘, aber auch, irgendwo im Buch, die Bemerkung, daß diese Generation erst dann wirklich eine neue Welt geschaffen hat, oder so ähnlich, wenn sie eine Form gefunden hat, ihre Toten zu bestatten. Womit ich nach einer kleinen Schlaufe wieder am Thema angekommen wäre.
Von einer neuen Form, die Toten zu bestatten, ist nirgens viel zu finden. Aber die Accessoirs unterliegen dem Wandel. Die emaillierten Herzen sind aus der Mode gekommen, man läßt in Stein gravieren, das kostet nicht mehr die Welt. Die gußeisernen Kreuze wird man heute nirgens mehr bestellen können, und die alten rosten vor sich hin, zerbrechen unter roher Gewalt. Schade eigentlich, und doch auch wieder nicht. Sie gefallen mir gerade in diesem vergehenden Zustand.
Was es aber immer noch gibt, hier in Frankreich und auch in Italien, sind die Plaketten mit den Photos der Verstorbenen. Für die Verwandten und Freunde wird es vielleicht nur ein kleines Hilfsmittel sein, sich besser an die erinnern zu können, die jetzt nicht und nie mehr da sind. Für mich als zufälligen und fremden Besucher eines solchen Friedhofs entsteht an einem solchen Grab eine gewisse Nähe. Man bekommt eher eine Vorstellung des Menschen, der da liegt. Das Gesicht weckt Assoziationen, macht Symphatie, oder auch nicht. Dieser da könnte der ganz normale Nachbar von nebenan sein, wenn man in Frankreich wohnen würde. Der da hat wirklich ein prägnantes, ein ganz besonderes Gesicht. Der sieht aus, als ob er Freude am Leben gehabt und auch vermittelt hätte, während der da genau das Gegenteil gewesen zu sein scheint. Diese hübsche Frau ist viel zu früh gestorben. Die da sieht aus, als ob sie mitten im Leben gestanden und es gemeistert hätte. Dieses Paar da hat hoffentlich eine lange, glückliche Ehe geführt. Und der da mit dem Hut, der war wahrscheinlich ein angesehener Bürger dieser Stadt.
Nachdem nun auch ihr diese ganzen Bilder gesehen habe, verlassen wir den Friedhof wieder. Ich zumindest möchte nicht Dauerbewohner sein, bin noch viel zu sehr damit beschäftigt, Dinge zu tun, Erfahrungen zu machen, um irgendwann einmal mit dem Bewußtsein gehen zu können, vor dem Tod gelebt zu haben. Das mit dem Bewußtsein läßt sich vielleicht nicht wirklich realisieren, aber das vorher gelebt zu haben ~ das ist, finde ich , erstrebenswert! 🙂