Die besten Dinge begegnen einem immer unverhofft. So lugte nach der letzten Übernachtung auf der Reise durch den Odenwald über die Baumwipfel auf dem Hügel über uns der Kranz eines Turmes, was selbstverständlich genauer untersucht werden mußte. Also frischauf!, der fahrende Ritter quiXote klimmt den Berg hinan, um dem Burgherrn seine Aufwartung und der dort bestimmt wohnenden Prinzessin den Hof zu machen.
Einen verwunschenen und verschlafenen Eindruck macht die Burg, fast ganz mit Efeu überwachsen. Zugbrücke und Tore schon lange im Staub der Zeit versunken, steht sie schutzlos da, kein Verteidiger läßt sich blicken, kein Burgherr. Und auch keine Prinzessin 🙁
Nun, die Zeiten haben sich geändert, es gibt kaum mehr Aventiuren zu bestehen. Die Windmühlen gehören inzwischen ja offiziell zu den Guten (ökologisch gesehen, wenn auch nicht alle zustimmen, von wegen Verspargelung und Fledermäusen), überhaupt sind diese modernen Windmühlen sogar für einen quiXote zu gigantisch. Auch die Tradition der Minne steht nicht mehr hoch im Kurs, wie der hier berichtende Ritter schon vor Jahrzehnten feststellen mußte. Einen Liebesbrief zu schreiben ist inzwischen die effektivste Art, die Dame seines Herzens dazu zu bringen, so schnell und so weit wie möglich davonzulaufen ~ und nie wieder von sich hören zu lassen. Probiert es ruhig aus! Und während früher die fahrenden Ritter überall gern gesehene Gäste waren, deren Geschichten von fernen Landen und gefährlichen Aventiuren man gerne lauschte, wurde diesem hier neulich sogar nachgesagt, er erzähle zu weitschweifig und umständlich. Kann man das fassen?
JaJa! Wir leben in furchtbaren und desolaten Zeiten, nicht mal mehr die Nostalgie ist das, was sie mal war und zu sein hätte! 🙁
Diese Burg allerdings, so stellt sich bald anhand von aufgestellten sprechenden Tafeln heraus, ist nicht nur eine Burg, sondern DIE BURG! Burg Wildenberg ist nicht nur dreimal so groß (90 x 39 Meter) wie eine gewöhnliche Burg, sie ist mit einem Torturm ausgestattet, der in besseren Zeiten ein Kreuzgewölbe und darüber eine Kapelle mit einem Außenerker trug (in oder auf dem allerdings keine Prinzessin den fahrenden Ritter begrüßte), außerdem einen Palas mit einem 200 m² großen Rittersaal, für den Winter mit einem großen Kamin, in dem auf fast 9 m² Fläche wohl der halbe Wald verfeuert wurde. Darüber ein Arkadensaal mit großen Bogenfenstern, lichtdurchflutet, in dem Ritter und Damen im Sommer rauschende Feste feiern konnten.
Burg Wildenberg war, wenn man den sprechenden Tafeln und den magischen Seiten von Wikipedia glauben schenken will, das Vorbild für die Gralsburg Munsalvaesche in Wolfram von Eschenbachs Parzival. Man munkelt, er habe den mittelhochdeutschen höfischen Roman in Tradition der Artusepik zumindest teilweise hier geschrieben. Zeitlich würde es wohl passen, die Burg wurde um 1180 bis 1200 gebaut, Parzival zwischen 1200 und 1210 geschrieben. Die Bauherren, die von Dürn, mußten übrigens die Burg in den 1270er Jahren wieder verkaufen, sie hatten sich wohl finanziell etwas übernommen . . .
Aber zurück zu Parsival. Ein Gralssucher. Nun frag ich euch: wer sucht heute noch nach dem Gral? Die meisten Leut wissen nicht mal mehr, was ein oder der Gral ist. Man war sich übrigens auch damals schon nicht ganz sicher, war das nun eine güldene Schale, ein Kelch? Oder ein Stein (lapis exillis)? Jedenfalls war die Suche nach dem Gral die Suche nach dem verlorenen Paradies. Heut sind die Leut schon überfordert, wenn sie ihr verlorenes Schlüsselbund suchen. Ich saach ja: wir leben in furchtbaren und desolaten Zeiten! 🙁
Ein zweites Mal, allerdings nicht zum Ruhme der Burg, spielte eine auch literarisch (Goethe!) verarbeitete Figur eine allerdings zerstörerische Rolle, als im Bauernkrieg die Hellen Haufen des Götz von Berlichingen die Burg Wildenberg am 4. Mai 1525 niederbrannten. Seitdem ist sie eine Ruine. Der ‚Ritter mit der Eisernen Hand‚ war aber anscheinend eher gezwungenermaßen Hauptmann der Bauern, die in den 12 Artikeln Menschen- und Freiheitsrechte forderten ~ er selbst scheint eher eine Art Söldner und Wegelagerer mit sehr zweifelhafter Historie gewesen zu sein. Vielleicht waren die Zeiten damals doch noch furchtbarer . . . 🙁
Alsdann, besteige ich wieder meine treue Rosinante, die ich am örtlichen Gartenzaun festgebunden habe, und mache mich auf den Weg, zu neuen Aventiuren! Bis bald! 🙂
https://www.youtube.com/watch?v=p2RwM4_dKZA
😉