Eine viertägige Stippvisite in Wien reicht sicher nicht aus, um die Stadt kennenzulernen. Doch um eine erste oder zweite Beschäftigung mit Friedensreich Hundertwasser, einem der bekanntesten ‚Söhne der Stadt‘, kommt man, komme ich nun wirklich nicht herum. Das poppig bunte, nach Möglichkeit gerade Linien und rechte Winkel vermeidende Hundertwasser-Haus, das der Nicht-Architekt im Auftrag der Stadt mit dem Architekten Josef Krawina und nach dem Zerwürfnis zwischen den beiden dann mit Peter Pelikan ~ mit etlichen Ausnahmen aus dem normalen Baurecht ~ gestalten konnte, ist Magnet für Wien-Touristen und beliebtes Photomotiv. Das obige Bild, gestiched aus drei Aufnahmen, würde dem Künstler vielleicht sogar gut gefallen, weil durch die extreme Perspektive die mehr oder wenig doch gerade Dachkante kräftig gebogen ist.
In seinem 1958 zum ersten mal verlesenen Verschimmelungsmanifest, das sich hier herunterladen läßt, fordert er die Einheit von Architekt, Maurer und Bewohner als Dreieinigkeit, bezeichnet die Verwendung eines Lineals (das Symbol des neuen Analphabetentums) in der Architektur als Verbrechen. Schon das Tragen einer geraden Linie bei sich müsse verboten werden! Der Mensch müsse seine kritisch-schöpferische Funktion wiedereinnehmen, die er verloren habe und ohne die er aufhöre, als Mensch zu existieren!
Der 1928 als Friedrich Stowasser in Wien geborene Hundertwasser erlebte als Heranwachsender das dritte Reich und überlebte es zusammen mit seiner Mutter, wärend seine jüdische Großmutter mütterlicherseits und 70 Verwandte dieses Glück nicht hatten. Das mag seinen Non-Konformismus mit verursacht haben, der ihn Zeit seines Lebens gegen Lineale, Zirkel, rechte Winkel und ebene Flächen rebellieren ließ, den die Gleichförmigkeit von Fenstern zu Vergleichen mit dem Eingesperrtsein in ein Konzentrationslager reizte.
Er setzte sich für das sogenannte Fensterrecht ein: Ein Mann in einem Mietshaus müsse die Möglichkeit haben, sich aus seinem Fenster zu beugen und – so weit seine Hände reichen – das Mauerwerk abzukratzen. Und es müsse ihm gestattet sein, mit einem langen Pinsel – so weit er reichen kann – alles rosa zu bemalen, so daß man von weitem, von der Straße, sehen könne: Dort wohnt ein Mensch, der sich von seinen Nachbarn unterscheidet, dem zugewiesenen Kleinvieh!
Ein weiteres Credo ist die sogenannte Baumpflicht. In den von ihm gestalteten Häusern wachsen Bäume nicht nur auf den Dächern und Terrassen, sie wachsen auch als Baummieter aus Fenstern und strecken von da aus ihre Zweige in die Sonne. Und nivellierte, gerade Fußböden wird man in seinen Häusern auch eher nicht finden ~ sowohl im Hundertwasser-Village, wo man mit ihm assoziierte Souveniers kaufen kann, als auch im KunstHausWien wölben sich die Fußböden, sodaß vom Menschen neues Wahrnehmen gefordert wird. Sogar das Pflaster in der Kegelgasse vor dem Hundertwasserhaus ist zu Hügeln aufgeworfen, die gerne bestiegen werden und dadurch geglättet, wie mit Schmierseife geschmiert ~ wer das Wahrnehmen und die Aufmerksamkeit nicht mitbringt, landet auf seinem eigenen Hintern 🙂
Das Hundertwasserhaus Ecke Löwengasse/Kegelgasse ist ein Mietshaus der Stadt Wien, das Fensterrecht ist in den Mietverträgen verankert. Die Gestaltung durch Hundertwasser unterliegt nicht dem Denkmalschutz. Allerdings wurde der Mietvertrag um die Klausel erweitert: „Der Mieter muß hierfür jedoch die Zustimmung der MA 19 (Stadtbauamt) und der Baubehörde einholen. Dem Vermieter sind die genehmigten Veränderungen anzuzeigen.“ Möglich ist es also, aber keiner der Mieter hat es bis jetzt in Anspruch genommen. Respekt vor dem Künstler, der zu Lebzeiten sogar Unterstützung bei Ärger mit den Vermietern zugesichert hat? In nicht von Hundertwasser gestalteten Häusern gab es gelegentlich Fälle . . . aber die meisten Leut trauen sich wohl nicht, oder verspüren nicht das Bedürfnis, ihre Individualität vor das Fenster ihrer Wohnung zu tragen.
Wie auch immer, der Künstler Hundertwasser hat als streitbarer Mensch und Individualist nicht nur die Architekturscene aufgemischt. Die Stadt Wien hat sich ~ punktuell ~ auf eine Zusammenarbeit mit ihm eingelassen, und das nicht abebbende Interesse von Touristen und Einheimischen gibt ihr im Nachhinein recht. Die Norm der modernen Architektur sind seine Ideen trotzdem nicht geworden. Individuaalismus in der Architektur kostet halt jede Menge Geld!