1001 Artikel seit dem Start dieses Blogs im Juli 2011, diese märchenhafte Zahl wurde mit dem letzten Beitrag über die Donau-Nixe Isa erreicht. Mehr als 4Tausend Photos sind in der Bilddatenbank verzeichnet. Ein Grund zu feiern, wie das neue Jahr, mit einem Tusch am Himmel aus dem Jahr 2016. Und Anlass für eine Rückschau, und für einen Blick in die Zukunft nicht nur dieses Blogs.
Fast zehn Jahre also hat mich die Arbeit an diesem Blog auf meinen Reisen begleitet, in aller Regel eine freudige und sinnstiftende Tätigkeit. Nur unterwegs zu sein wäre mir zu wenig gewesen. Die Aufarbeitung meiner Erlebnisse und Erfahrungen in Bild und Text, das Einpassen in die Fassung eines Artikels wie Edelsteine in einen Ring oder eine Brosche hat mich oft drei, vier, fünf Stunden eines Tages gekostet, bei den politischen Artikeln der Kategorie Polis-Angelegenheiten mit ihren ausgiebigen Recherchen gleich über mehrere Tage hinweg. Aber, wie gesagt, es war eine Arbeit, die auch im Kampf mit dem Zusammensuchen von Sinn-Zusammenhängen, im Kampf mit den eigenen Ansprüchen für eine qualitativ schlüssige Formulierung, in Bemühung um sehenswerte und ästhetische Bilder, eine Arbeit mit viel Freude war.
Im Verlauf dieser zehn Jahre der Bloggerei konnte ich aber auch beobachten, wie sehr das Internet sich gewandelt hat. Da ich ja wissen wollte, wie gut oder schlecht meine Arbeit bei meinen Lesern und Schauern ankam, habe ich recht intensiv die Logdateien meines Statistik-Plugins verfolgt, sodass ich immer recht gut informiert war, was auf meinen Seiten los war. Oberflächlich betrachtet sind auch die aktuellen Zahlen nicht gar so schlecht ~ 1010 Besucher im Dezember 2020, 41063 Seitenzugriffe, 2540 davon über Feeds. Wenn man aber genauer hinschaut, nicht nur die Quantität, sondern vor allem die Qualität der Besucher und der Zugriffe analysiert, stellt man fest, dass nur noch eine Handvoll Menschen regelmäßig den Blog besucht. Ein paar Menschen mehr landen durch Suchmaschinen hier, aber die kommen in der Regel nicht wieder. Der Rest sind Maschinen, die das Internet abscannen, zum Teil den kompletten Blog auslesen, oft immer wieder, Tag für Tag, dieselben Inhalte abfragen.
Über Sinn und Zweck von derlei Aktionen kann man sich zwei, drei Gedanken machen, mehr besser nicht. In früheren Zeiten haben oft die Artikel der Kategorie Polis-Angelegenheiten einen Sturm auf den Blog verursacht, weniger von Menschen als von den Spidern der entsprechenden staatlichen Dienste. Ich hatte plötzlich viele Freunde in Berlin, wo die Botschaften aller Mächtigen der Welt heimisch sind, die USA und Großbrittannien, Russland und China waren ausgiebig zu Gast. Inzwischen bin ich für diese Leutchen uninteressant geworden, zu deutlich ist, dass mein Geschreibsel von seeehr wenig Menschen gelesen wird. Die allermeisten Zugriffe auf den Blog dürften inzwischen die Maschinen sein, die die Inhalte für Big-Data sammeln, als Futter für die sogenannte ‚künstliche Intelligenz‘, KI, von den Anglophonen AI für Artificial Intelligence genannt. In gewisser Hinsicht ist das Internet inzwischen überwiegend mit sich selbst beschäftigt.
Auch von der Struktur her hat sich das Internet in den letzten zehn Jahren stark gewandelt. Als Tim Berners-Lee Anfang der 1990er Jahre die Grundlagen des World Wide Web (das, was für die meisten Laien das Internet ist, auch wenn dazu einiges mehr gehört) entwickelte, leitete ihn die Idee, wie eine Gesellschaft funktionieren sollte: flache Hierarchien, harmonische Kooperation, Toleranz und Offenheit für Vielfalt, Vernunftgebrauch sowie Zuversicht in die Mitstreiter. Es sollte ein freies Netz sein, in dem nicht nur Wissenschaftler Informationen teilen und finden könnten. Seine Entwicklungen, die dem Netz zugrunde liegen, die Netzprotokolle http, die Seitenbeschreibungssprache html, das System der URLs, Webserver und Suchmaschine patentierte er deswegen nicht, sondern gab die Techniken frei. Und er hat damit eine Entwicklung in Gang gesetzt, die unser aller Leben stark verändert hat. Und sich ständig weiterentwickelt.
Inzwischen ist dieses Web hochgradig kommerzialisiert. Ein Klick auf die Datenschutzeinstellungen z.B. von spiegel.de offenbart, dass das Nutzerverhalten eines jeden Lesers von mindestens ¡105! Werbefirmen verfolgt wird, die Informationen wie z. B. Cookies und Geräte-Kennungen auf dem Gerät des Lesers speichern und abrufen. Anzeigen werden personalisiert, der Nutzer wenn möglich sogar über verschiedene Geräte hinweg getrackt. In der Regel ist eine Klick-Orgie nötig, um dieses Verhalten zu unterbinden, wobei Inhalte dann unter Umständen nicht mehr oder nicht mehr vollständig angezeigt werden.
Auch von der Benutzerseite hat sich einiges verändert. Als ich mit dem Blog begann, gingen die meisten Leute noch mit dem heimischen PC oder vom Arbeitsplatz aus ‚ins Internet‘. Das Handy gabs zwar schon, das war aber zum telefonieren da, Emails hätte man gerade noch empfangen können, aber mehr als drei, vier Worte hätten auf dem Display keinen Platz gehabt. Dann kam das I-Phone, wenig später Smartphones auf Android-Basis und die ersten Tablets. Ab da hatte man das Internet in der Tasche, war immer Online.
Auch von den Anwendungen her überstürzte sich die Entwicklung. 2011 hatten Blogs ihren Zenit schon überschritten. Facebook und kurz danach Twitter und WhatsApp kamen auf und wurden immer beliebter, dann kamen noch Instagram und YouTube und Konsorten dazu. Die ’sozialen‘ Netzwerke eroberten das World Wide Web, man konnte sich und seinen ‚Followern‘ Nachrichten und Bilder, dann auch Videoclips in Echtzeit zuschicken. Jeder war mit jedem jederzeit online verbunden. Und jeder, absolut jeder konnte mit Selfies bis hin zu Bildern vom eigenen Hintern (Butt-Selfie) sich selbst im Internet zelebrieren. Aber: wer da nicht mitmachte, fiel plötzlich aus dem Informationsfluss heraus. Das Internet, das World Wide Web, spaltete sich in ‚Gated Communities‘, in denen die Menschen immer mehr Zeit verbrachten. Einen Blog zu verfolgen, dafür fehlte dann eben doch die Zeit. Und wer nicht in Facebook, WhatsApp oder Instagram angemeldet ist, wird nach ein paar Bildern, ein paar Zeilen Text ausgesperrt.
Die Suchmaschine von Google wurde zum übermächtigen Global Player, die Dienste von Google wie Maps wurden unverzichtbar, auch für mich. Google kaufte dann auch noch YouTube, und neben Musik- und Katzenvideos wurden Video-Blogs in, Vlogger übernahmen die Aufmerksamkeit, die man vor noch gar nicht zu langer Zeit einem Reiseblog geschenkt hatte. Lesen wurde zu anstrengend, es war einfacher, mit halbem Ohr einem Vlogger zuzuhören, und nebenbei Geschirr zu spülen oder zu kochen. Komplexe Zusammenhänge nachzuverfolgen scheint nicht mehr nötig zu sein, alles muss in leicht verdaulichen Häppchen verpackt und mit Schlagwörtern garniert sein.
Die meisten User sind sich dabei wohl nicht bewußt, welch tiefgreifende Veränderungen diese Entwicklung mit sich bringt. Sogar die, die sich selbst gerne ein besonders kritisches Weltbild attestieren, sind sich so gut wie nie darüber im klaren, wie die Informationsflüsse über die durch Werbung finanzierten kommerziellen Global Player gesteuert werden. Jede Anfrage über Google (und auch die meisten ‚alternativen Suchmaschinen‘ greifen mittelbar auf Google zu, andere funktionieren nach dem selben Modus) wird auf das Nutzerverhalten hin analysiert, sogar wenn man personalisierte Werbung ausschließt. Die ersten drei bis sechs Suchergebnisse sind eh ‚gesponsert‘, will heißen gekauft, der Rest beeinflusst vom früheren Suchverhalten. Absolut jeder Klick wird gespeichert und analysiert.
Besonders schön sichtbar ist das bei YouTube. Voreingestellt ist normalerweise der Automatik-Modus, in dem ein Video nach dem anderen abgespielt wird. Da der Service werbefinanziert ist, und damit ein starkes finanzielles Interesse besteht, den User möglichst lange auf der Plattform zu halten, um möglichst viel Werbeeinnahmen zu generieren, sind die steuernden Algorithmen, selbstlernend und sich selbst ständig optimierend, darauf aus, einem das zu präsentieren, was einem gefällt. Im Zweifel immer mehr von dem, was man schon vorher gesehen hat. Die selbe Sorte Input, die man, wie der schlaue Algorithmus weiß, vorher schon gut gefunden oder zumindest toleriert hat. Und so wird der Informationsfluss immer enger, der Nutzer bekommt Scheuklappen aufgesetzt und meint dabei, besonders gut informiert zu sein, weil er/sie auf alle Informationen eines weltweiten Informationsnetzes zuzugreift. Und da es in den weiten Welten des World Wide Web für jede, absolut jede depperte Idee genügend Futter gibt, fühlt sich der jeweilige Benutzer auch noch in einer zwar schweigenden, aber trotzdem garantiert vorhandenen Mehrheit. Konfrontiert mit den Deppen, die keinen Durchblick haben . . .
Ganz extrem ist das in den sogenannten ’sozialen‘ Netzwerken. Man findet sich in Gruppen und Grüppchen, schickt sich gegenseitig Nachrichten, Bilder und Videoclips, sortiert wird über die Likes, pusht das, was den jeweiligen Mitgliedern gefällt, verstärkt sich gegenseitig in seiner Meinung. Kontroverse Meinungen führen dazu, dass man rausfällt, na gut, sucht man sich eine andere Gruppe, wo das gefällt, was gerade Missfallen erregt hat. Und jeder, absolut jeder findet seinen Zirkel, in dem er bestärkt wird und sich wohlfühlt. Solange das Katzenbilder (der Running Gag der Kritiker) sind, die gefallen, mag das harmlos sein, wenn es um abgefahrene sexuelle Spielarten bis hin zum Verspeisen menschlicher Geschlechtsorgane geht oder extreme politische Inhalte, dann wird das zur unter Umständen tödlichen Gefahr, wie das beim Kannibalen von Pankow oder in rechtsextremen Netzwerken bis hin in die Bundeswehr oder in den Kreisen um den immer-noch-Präsidenten Trump deutlich wird.
Nochmal: niemand sollte sich bei dieser Kritik ausgenommen fühlen. Ja, auch die sogenannten Mainstream-Medien, egal ob öffentlich-rechtlich oder privat, und ja, auch die Politik in Bund und Ländern, alle schweben ein gutes Stück weit in ihrer eigenen Blase. Viel zu sehr spielen die Algorithmen mit einer allzu menschlichen Eigenschaft von Individuen und Gruppen: man bevorzugt die Informationen, die ins eigene Weltbild passen, die kontroversen werden eher verdrängt. Es erfordert sehr viel Energie und vor allem Zeit, Informationen auf verschiedenen, kontroversen Kanälen zu recherchieren, zu analysieren, Quellen zu checken und sich dann eine eigene Meinung zu bilden. Zeit, die auch im Journalismus immer weniger vorhanden ist, seit eben das Internet ein immer schärferes Tempo vorgibt und eine möglichst schnelle Veröffentlichung zum Muss wird. Ganz zu schweigen von immer knapper werdenden Werbeeinnahmen, also Kostendruck, und auch den entsprechenden Leitlinien von oben. Kein Journalist arbeitet im wertfreien Raum!
Auch in der Politik ist die Scheuklappe Teil der Grundausstattung. Spätestens seit den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts sind das immer mehr neoliberale Scheuklappen geworden, der Einfluss der NeoCons und der transatlantischen Thinktanks reicht inzwischen über die christlichen Parteien, die gute alte SPD, die Grünen bis in einen Teil der Linken. Der Einfluss der Wirtschaft, vor allem auch der Finanzwirtschaft mit ihren Lobbyisten ist so stark geworden, dass das wirtschaftszentrierte transatlantische und Nato-Framing gar nicht mehr in Frage gestellt wird. Hinweise auf eine Faktenlage, die dieses Framing aushebelt, werden ignoriert, Emails an Redaktionen von Leitmedien und Politiker der Grünen nicht beantwortet, wie ich anlässlich einer Artikelserie über die Rüstungspolitik und das Verhältnis Nato / Russland / China feststellen konnte. Denn außerhalb der eigenen Blase gibt es nur Verschwörungstheoretiker und Trolle . . .
Die Antwort kann aber eben gerade nicht die sein, auf YouTube nur noch die Meinungsäußerungen zu suchen, die die eigene Meinung stützen, und alles andere zu ignorieren. Denn die eine einzige wahre und allgemeingültige Wahrheit gibt es nicht, die Realität ist eine facettenreiche, komplexe Angelegenheit. Das zu ignorieren führt, wie das auch die Krise um Corona gezeigt hat, schon im privaten Bereich von Familien oder Freundschaften zu schmerzhaften Spaltungen, im öffentlichen, im politischen Umfeld zu Gewalt mit der Tendenz zu Unfreiheit, Intoleranz und Erodieren der eh schon anmarodierten Demokratie. Und die Funktionsträger dieser Demokratie arbeiten daran fleißig mit!
Zurück zum Blog, zu diesem Blog. Ich hatte mir zum Jahreswechsel ernsthaft überlegt, ob der Entwicklungen im Allgemeinen und der immer weiter schrumpfenden Gefolgschaft meine Webseiten ganz einzustellen. Schließlich kostet mich dieses Engagement neben einer erklecklichen Summe an €uronen jede Menge Arbeit, und es stellt sich irgendwann schon die dringliche Frage, für was das denn gut sein soll. Wieso einen Haufen Geld und Arbeit versenken, um ein World Wide Web zu füttern, das sich immer mehr von der ursprünglichen Idee von Freiheit und Vielfalt, von gegenseitigem Respekt und Toleranz entfernt. Wenn das, was man da so verströmt, immer weniger bei realen Menschen ankommt, immer mehr nur noch von den Servern dieses Netzes durchgekaut und zu einer einzigen, stinkenden Masse von Informationen verrührt wird, aus dem sich jeder seine eigene Matschburg baut?
Nun, zumindest für ein Jahr geht der Blog, gehen meine Webseiten in die Verlängerung. Es wird Veränderungen geben, ein Umzug zu einem neuen Provider steht an, weil der alte Provider nicht willens war, seine Politik für SSL-Zertifikate zu verändern und mich das alle drei Monate einen ganzen Tag Arbeit für reine Verwaltung gekostet hat. Die Bilderwebsite ralfgutmann.eu wird nach einem Dutzend Jahren grundlegend neu aufgebaut werden. Ich selbst trete auch in eine neue Lebensphase, wo es genau langgeht ist noch nicht klar. Es bleibt also spannend. Und ich hoffe, dass auch ein paar Leser gespannt bleiben . . .
Wie sagt der Anglophone so gerne: I wish you what! 🙂