Kein Artikel ist je so lange in der Pipeline hängengeblieben wie dieser. Die meisten Aufnahmen wurden im November 2014 aufgenommen und dann lange Zeit liegen gelassen, aber diese Halle war mir schon einige Jahr früher aufgefallen, als ich auf einem der dem Schwarzwald vorgelagerten Rebberge bei Müllheim stehend über die Rheinebene in Richtung der Vogesen geschaut habe. Für was mochte diese riesige alte Halle mit dem Turm und dem hohen Schornstein daneben wohl gut sein? Die ersten Bilder dieses Artikels sind der Versuch einer Annäherung.
Tatsächlich habe ich das Werksgelände erst im Jahr 2014 das erste Mal betreten, als mir Sven Richtberg die Gelegenheit bot, den im Juni 2012 angerichteten Dachschaden des alten Herrn Magirus zu reparieren. Dabei gab er mir auch die ersten Informationen über die interessante Geschichte der Halle, und mit seiner Erlaubnis durfte ich die ausführliche Erkundung mit der Kamera im Inneren durchführen ~ danke, Sven!
Die Recherchen über die Geschichte der Halle hat, wie so oft, wenn ich mich im Internet auf die Suche nach den Hintergründen eines Photomotivs mache, lawinenartig immer mehr interessante Geschichten aus der Vergangenheit ans Licht gebracht. Wer hätte schon gedacht, daß ein ‚Dorfjunge‘ (Sohn eines kleinen Holzhändlers in Oberweier bei Lahr) aus dem Schwarzwald, Josef Himmelsbach, 1872 in Freiburg eine Holzgroßhandlung eröffnete und die in der Zeit bis nach dem ersten Weltkrieg zusammen mit seinen Brüdern zu einer europaweit agierenden Industrie und Aktiengesellschaft ausbaute, die vor allem Telegrafenmasten und Eisenbahnschwellen herstellte? Die Firma nach dem Verlust des Krieges zu Tode boykottiert wurde, weil Herrmann Himmelsbach als Berater im Auftrag der Reichsregierung bei den Reparationsverhandlungen zusätzlichen Holzlieferungen an die Siegermächte zugestimmt hatte? Auch eine Klage 1925 gegen die Länder Hessen, Bayern und Preußen und das Deutsche Reich halfen dem Ehrendoktor der Universität Freiburg, Vorsitzendem des Vereins von ‚Holzinteressenten Südwestdeutschlands‘ und ehemaligen Regierungsberater nicht weiter, bis 1937 zog sich der Rechtsstreit hin ~ erfolglos.
Oder daß die Halle ursprünglich 1910 als Luftschiffhalle in Baden-Oos errichtet wurde? 160 x 30 Meter maß sie, war fast 30 Meter hoch. Als am 21. August 1910 das erste Luftschiff landete, wurden alleine an diesem Nachmittag 1500 Eintrittskarten zur Besichtigung von Halle und Luftschiff verkauft. Zwei Tage später dann die erste Passagier-Luftfahrt überhaupt in Deutschland. 12 Personen machten eine zweistündige Fahrt über Mittelbaden und ließen sich das jeweils 200 Mark kosten, viel Geld für damalige Verhältnisse. Nach 34 Passagierfahrten mit insgesamt 318 Fluggästen hatte das Vergnügen ein jähes Ende: ein Monteur hatte unvorsichtig mit Benzin gekleckert, es gab eine Verpuffung und das Luftschiff LZ-6 brannte aus; aber die Halle blieb zum Glück fast unbeschädigt, da das hochexplosive Wasserstoffgas überwiegend nach draußen strömte und dort verbrannte. So konnten bis zum ersten Weltkrieg, als die zivile Luftfahrt eingestelt wurde, sich betuchte Kurgäste auch die Anreise nach Baden-Baden durch die Luft leisten, für einen kleinen Obulus in Höhe eines dreifachen durchschnittlichen Monatslohnes. Nach dem verlorenen Krieg wurde mit dem Versailler Friedensvertrag die Luftfahrt untersagt, der Abbruch der Luftschiffhallen bis 31. Juli 1921 verlangt. Nach der Zerlegung (die Halle war in filigraner Eisenfachwerktechnik mit Gelenkbögen in nur 11 Tagen aufgebaut worden, auch mit der Vorgabe, schnell abgebaut und an neuer Stelle neu aufgebaut werden zu können, siehe hier) wurde die Halle 1923 in Auggen verkürzt und nicht ganz so hoch , aber in der Breite etwas gespreizt (genauer: 55 m Länge, 34 m Breite und 19 m Höhe), für die Gebrüder Himmelsbach als Sägehalle wieder aufgebaut.
Zurück zur Firmengeschichte: die Firma Gebrüder Himmelsbach wurde nach dem Tod der beiden Brüder 1944 gelöscht, das Firmengelände in Auggen/Neuenburg wurde von der 1937 in Berlin gegründten Firma Richtberg, die ebenfalls Bahnschwellen und Telegraphenmasten herstellte, übernommen.
Auch interessant: Von Ende 1946 bis Mitte 1948 lieferte die Firma Richtberg über 1.500 Holzschwellen für die Trümmerbahn in Freiburg, die die bei Luftangriffen im zweiten Weltkrieg weitgehend zerstörte Innenstadt vom Schutt befreien sollte.
1995 wurde der Firmensitz ganz nach Neuenburg verlegt. 2009 zerstörte ein Großbrand einen großen Teil der Imprägnierungsanlage, es dauerte bis 2010, bis die Anlage wieder in Betrieb genommen werden konnte. 2012 wurde der Sägebetrieb aus wirtschaftlichen Gründen aufgegeben, in der Zeppelinhalle ruht seither die Arbeit.
Auch wenn die Normalzeituhr stehen geblieben ist, die Zeit selbst tickt. Ein Teil der Holzverarbeitungswerkzeuge wurde seit den Aufnahmen verkauft, zum Beispiel ist die Bandsäge auf den Bildern nicht mehr vorhanden, sie wurde für ein Entwicklungshilfeprojekt in Panama verschifft.
Aber die Dokumentation eines Ist-Zustands, die Rettung der Vergangenheit in die Zukunft, ist nicht mein Hauptanliegen, wenn ich ein altes Gebäude mit der Kamera entdecke. Sicher, die alte, massive Technik aus der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts kann mich begeistern. Hier sieht man noch, wie sie funktioniert, hier folgt die Form wahrlich der Funktion. Und diese Technik könnte noch in hundert Jahren funktionieren, wenn sie regelmäßig gewartet würde. Ohne Elektronik, ohne Fernbedienung, wie sie heutzutage Standart ist.
Viel mehr allerdings packt mich die Stimmung in diesen Gebäuden, und besonders in dieser Halle. Starke Lichtkontraste zwischen der Dämmerung in der Halle und den Lichtern, die durch die Oberlichter und die zum Teil mit Brettern verschlossenen Türen für Überstrahlungen auf den Bildern sorgen. Vorhandenes Licht, available light. Stille, wo früher der Höllenlärm der Sägen tobte. Assoziationen zu einem Film mit Richard Dreyfus: „Die Nacht hat viele Augen“ (Stakeout, 1987), wo er in der Schlußszene als Guter Cop den Bösen Buben in genau so einer Zuführung für die Gattersäge verfolgt, zwischen rollenden Baumstämmen, gegen jede Sicherheitshinweise, die ihr auf den Bildern seht. Ich stelle mir vor, wie die Stämme über die Zuführungsbänder zur Gattersäge rollen, wo sie der Spannwagen mit der Zange packt, in die richtige Position dreht und dann durch die Gattersäge schiebt.
Die modernen Anlagen sind weit weniger romantisch, aber eben auch weniger gefährlich für die dort arbeitenden Menschen. Hier und hier könnt ihr (zumindest so lange die Links noch aktuell sind) eine moderne Anlage der Firma Esterer sehen, computergesteuert und fernbedient, vermutlich auch leistungsfähiger.
Und noch ein Schätzchen gibt es zu sehen, das sogar noch aktiv ist: eine Deutz Rangierlokomotive, Verwandte des alten Herrn Magirus. Da fühlt er sich doch gleich zu Hause 🙂