Seit ein paar Tagen befinde ich mich jetzt in Koblenz, der symphatischen Stadt, in der die Mosel auf den Rhein trifft, und der alte Herr Magirus und meinereiniger erholen uns von den anstrengenden und teils aufreibenden Kilometerfressereien durch Nordfrankreich, Belgien und Luxembourg. Tagsüber ist Arbeit angesagt, Pflege und Renovierung meines rollenden Heims, zum Beispiel säubern, anschleifen und neu ölen der Inneneinrichtung aus Buchenstabholz und Tischlerplatten. Nach mehr als sieben Jahren intensiver Nutzung sieht vieles etwas mitgenommen aus und muß wieder aufgehübscht werden. Die aufwendigeren Arbeiten an der Karosserie müssen noch eine Weile warten. Gegen Abend schwinge ich mich dann auf mein Fahrrad und rolle an der Mosel entlang in die Gegend des Deutschen Ecks und des Rheinpegels, um mich zwischen Menschen treiben zu lassen, deren Sprache ich verstehe ~ was für eine Wohltat!
Jedenfalls bietet die langsame, ruhige Arbeit an gewachsenem Holz die Muße, die vielfältigen Eindrücke, die diese Fahrt in den letzten Wochen hinterlassen hat (um nicht zu sagen, die mit Schmiedehammer und Prägestempel eingeschlagen worden sind) zu verdauen und sich setzen zu lassen. Dieser Artikel soll dazu seinen Beitrag leisten und gleichzeitig ein Abschluß dieser Reise bilden . . .
Als ich nach der Bretagne die Normandie ansteuerte, vor allem, um die Stätten der alliierten Landungen und der Kämpfe zur Beendigung der Nazi-Herrschaft über einen groß Teil Europas zu besuchen, war mir zwar klar, daß das kein Zuckerschlecken würde ~ ich bin dafür einfach ein wenig zu dünnhäutig ~ wie sehr mich das aber an emotionale Grenzen bringen würde, habe ich erst bemerkt, als ich am an sich völlig unspektakulären Utah Beach stand.
Am Utah Beach fanden im Rahmen der Operation Overlord die ersten Landungen der Alliierten statt, hier landete auch die 2. freie französische Division unter General Leclerc, der das Denkmal und die Waffensammlung mit einem Sherman-Panzer am Parkplatz gewidmet ist. Wie auch die ganze weitere Küste bis weit ins Landesinnere, ja bis nach Belgien und Luxembourg immer wieder mit Ausstellungsstücken dieser kriegerischen Überbleibsel gesprenkelt ist, die von den Touristen jedweder Gattung fleißig fotografiert werden. Wer das sehen mag, soll selbst hinreisen oder sich das im Internet auf vielen, vielen Webseiten anschauen ~ ich spare mir das hier . . .
Während am Strand die Einheimischen bei ablaufendem Wasser den Sand nach essbarem Meeresgetier durchsuchten, streifte ich die Kette von Bunkern und Maschinengewehrnestern entlang und versuchte mir vorzustellen, wie das hier im Morgengrauen des 6. Juni 1944 aussah, als Einheiten der französischen freien Armee und Amerikaner hier landeten. Die abgebildete Landungsbrücke, über die wohl die Sherman-Panzer von den Schiffen auf den Strand rollten, ist weniger als die Breite eines Fußballfeldes von der Mündung eines Bunkers mit schwerem Geschütz entfernt, sich hier an Land zu kämpfen war sicher schlimmer als die Hölle.
Wobei Utah Beach noch vergleichsweise simpel war. Ein Stück weiter östlich am Point du Hoc und Omaha Beach (und einigen anderen Stränden, siehe hier) war der Strand nicht flach mit niederen Dünen, da mußten sich die Soldaten erstmal die Klippen hochkämpfen, unter heftiger Gegenwehr, sprich Geschütz- und Maschinengewehrfeuer. Außerdem wurden da ein gut Teil der Panzer tragenden Schiffe schon vor Erreichen der Küste durch Minen und Geschützfeuer versenkt, so daß die Soldaten weitgehend ohne Deckung den Strand erstürmen mußten. Ein einziges Gemetzel . . .
Und nicht nur Soldaten. Zur Vorbereitung wurden, um die deutschen Truppen vom Nachschub abzuschneiden und an der Flucht zu hindern, Brücken, Straßen und auch Städte bombardiert, dabei und bei den Kämpfen sollen um die zwanzigtausend französische Zivilisten ums Leben gekommen sein. Zwanzig! Tausend! Zivilisten!
Die Gesamtzahl der Opfer ist so gigantisch wie das vor allem von der USA in die Schlacht geworfene Material an Waffen und Menschen. Ich zitiere hier aus der Wikipedia, einfach Copy und Paste:
Die genaue Zahl der Verluste an Soldaten während der Operation Overlord lässt sich nicht rekonstruieren. Bereits vor dem D-Day – zwischen April und Mai 1944 – verloren die Alliierten annähernd 12.000 Männer und mehr als 2000 Flugzeuge. Die Alliierten hatten seit dem D-Day etwa 53.700 Tote (37.000 Tote bei den Landstreitkräften und 16.714 Tote bei den Luftstreitkräften), 18.000 Vermisste und 155.000 Verwundete, die Deutschen 200.000 Tote, Vermisste und Verwundete und weitere 200.000 Kriegsgefangene zu verzeichnen. Von den Alliierten sind insgesamt 32.807 der Gefallenen in Kriegsgräberstätten in der Normandie begraben, während es bei den Deutschen 77.866 sind. Die Opfer unter der französischen Zivilbevölkerung beliefen sich auf etwa 20.000 Menschen.
Die nächsten Tage hat es mir immer wieder die Tränen in die Augen getrieben, denn an Zeugnissen für diese gewaltigen Kämpfe mangelt es weder an der Küste der Normandie, noch auf dem Weg, den die alliierte Armee über Nordfrankreich, Belgien und Luxembourg genommen hat. Überall Soldatenfriedhöfe (von denen ich drei besucht habe, den großen deutschen bei Caen, den großen amerikanischen bei Colleville Saint-Laurent, beide in Frankreich, und den amerikanischen in Belgien bei Bastogne), Wälder von Kreuzen oder in den Boden eingelassene Namensplatten, Denkmäler und Museen mit davor ausgestellten Panzern und Geschützen. Der zweite Weltkrieg ist überall präsent, auch nach 70 Jahren, und wen wundert das? Bei den Opfern, die das an Menschenleben gekostet hat? Da ist sogar die militaristisch-heldenhafte Darstellung der Vorgänge verständlich, die mir als ehemaligen Wehrdienstverweigerer die Fußnägel hochrollt . . .
Aber was macht das mit mir als Deutschen der Nachkriegsgeneration, die nur mittelbar über die Eltern und deren Nazi-Sozialisation samt Niederlage (nach der alles nicht mehr gut sein durfte, was vorher gut war) betroffen war? Eines ist sicher, ich bin heilfroh, nicht unter Adolf Hitlers Faschismus aufgewachsen zu sein, und bin dementsprechend dankbar. Aber wie soll man Dankbarkeit in Worte fassen angesichts von hunderttausenden Toten? Ich, als, wie Helmut Kohl das mal verfänglich genug ausgedrückt hat, mit der Gnade der späten Geburt ausgestatteten Menschen, empfinde eine tiefe Schuld gegenüber jenen Kämpfern, die nie angemessen beglichen werden kann. Und Respekt vor ihrem Einsatz, der zu vielen, jeder einer zuviel, das Leben gekostet hat. Allerdings gegenüber denen, die damals, in diesem vielleicht(?) letzten moralisch zu rechtfertigendem Krieg die viel bemühte Freiheit verteidigt haben, nicht gegenüber denen, die auch heute nur zu leicht selbst verursachte Konflikte mit Waffengewalt lösen wollen . . .
Heute vor 70 Jahren, am 26. Juni, wurde die Charta der Vereinten Nationen unterschrieben, am 24. Oktober 1945 trat sie in Kraft. Die United Nations sollten die Welt sicherer machen und von der Geisel des Kriegs befreien, allerdings ohne wirklichen Erfolg. Zwar wurden in der Zeit der großen Blöcke und des kalten Kriegs die Welt nicht in atomaren Schutt und Asche zerlegt, dennoch wurden laut Infocenter des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge von 1945 bis heute mehr als 40 Millionen Menschen in kriegerischen Auseinandersetzungen getötet. Wem das nicht die Tränen in die Augen treibt . . . Die Menschheit hat nicht wirklich gelernt aus diesem letzten großen Krieg, die Militarisierung schreitet wieder voran, das Denken in Blöcken, die Durchsetzung egoistischer Interessen mit Waffengewalt.