Ein Blick rechts hinunter in die Ebene unterhalb von Sierra de Alhamilla zeigt das oben abgebildete Arrangement von seltsamen Installationen (* ~ durch Klick vergrößern). Was das wohl sein mag? Also abgebogen auf die steile, unbefestigte Piste, nachschauen . . .
. . . unten angekommen stellt sich schnell heraus, daß es sich um Filmkulissen handelt. Nicht Pappmaché, wie so oft beschrieben, sondern stählerne Moniereisengitter, belegt mit Kückendraht und jede Menge Gips und Farbe . . .
. . . die Straßen bestehen aus nichts anderem als Fassade, dahinter allenfalls große Kisten aus MDF-Platten, innen mattschwarz gestrichen. Denn durch ein Fenster oder eine Tür scheint in einem realen Gebäude normalerweise nicht die Sonne 😉 und groß genug sollte das sein, daß auch mal ein Mensch aus der Tür kommen kann . . .
Das Ganze erweckt den Eindruck eines alten Dorfes, aus Lehm gebaut, wie wir es aus alten Westernfilmen kennen, wenn sie in Mexiko spielen, aber das kann genauso in einen Historienfilm im alten Spanien passen, Quixote, der Ritter von der traurigen Gestalt, könnte hier jederzeit mit Sancho Pansa im Gefolge auftauchen.
In einer ‚Küche‘ mit großem Kamin hat die Realität zu stark Einzug gehalten. Alles, was Holz ist, ist tief verkohlt. Der Rest hat nicht gelitten. Auf den ersten Blick sieht alles massiv aus, aber auch der Fels an der Straßenecke klingt beim Anklopfen verdächtig hohl. Und der Ziehbrunnen an der Hauswand reicht grad bis zum Straßenniveau, keine 40 Zentimeter.
In einiger Entfernung stehen am Ende einer Palmenreihe noch einige Gebäude, die ich mir auch anschauen möchte. Also den Motor angeworfen und über zwei Ecken der Piste da hingefahren.
Die Häuser hier bestehen nicht nur aus Fassade, die sind aus Stein und Mörtel, aber nicht nur. Offensichtlich sind hier Ruinen mit den schon bekannten MDF-Kästen und Verzierungen aus Styropor, Gips, Stuck und Farbe versehen worden, um in die entsprechenden Szenen zu passen. Ab und an wurde auch ein virtuelles zweites Stockwerk auf reale alte Mauern aufgesetzt.
Im Gebäude hinter dem gemeinschaftlichen Mühlstein verwirren mich ‚altägyptische‘ Wandmalereien mit neuzeitlichen vandalistischen Kratzspuren. So langsam frage ich mich, welche Sorte Film hier gedreht worden ist . . .
Dann aber finde ich im nächsten Gebäude mitten in einem kleinen Fleck Sonnenlicht ein Pärchen erotisch knallroter Damen-Riemchensandaletten mit kleinem Absatz, leider ohne Dame ;( ~ die sehen allerdings nicht altägyptisch und überhaupt in keinster Weise historisch aus, Mann könnte sich also jederzeit nach der zugehörigen Besitzerin umschauen . . .
Die Suche nach der Besitzerin dieser imaginierenden Sandälchen bleibt leider erfolglos, dafür taucht später am Abend, schon in der Dämmerung, Margareta mit ihren zwei Hunden auf, eine Deutsche, die seit ihrer Kindheit hier wohnt, und klärt das Rätsel um den Film auf: Exodus, der Blockbuster von Ridley Scott, ist zu einem großen Teil hier gedreht worden. Das erklärt natürlich die ägyptischen Wandmalereien, und auch die putzigen kleinen Pyramiden auf den Säulen . . .
Sie erzählt mir von den Dreharbeiten mit mehr als 1700 Statisten, aber auch, daß diese Gebäude zum Verladebahnhof der ehemaligen Mine gehören, die über die ebenfalls nicht mehr vorhandenen Eisenbahn das Erz nach Almería zur Verladestation transportiert hat. Der alte Herr Magirus steht vor dem Gebäude, in dem die Lokomotiven gedreht wurden, über uns auf der jetzt leeren Terrassierung stand während der Dreharbeiten der Palast des Pharao, und das Heim der Sandälchen war früher der Bahnhof . . . da mischen sich die Zeiten ganz gut durcheinander!
Und nicht nur die Zeiten. Die Tür im obigen Bild ist zwar alt, aber mit neuen Scharnieren aus dem Baumarkt am Gebäude befestigt. Und da sie wohl etwas zu schmal war, hat man sie mal eben mit einem Brett verbreitert, das dann mit Farbe an den antiken Look angepasst wurde.
Es ist sehr interessant, welche Modifikationen diese Location ins alte Ägypten beamen sollen. Kleine Pyramidchen auf Säulen, Palmwedel aufs Vordach, himmelblaue geometrische Stuckverzierungen an die Außenwand, innen eher dilettantische Malereien von ‚ägyptischen‘ Feldarbeitern, Fenster mit Zwischenmauern geteilt oder mit Holzpflöcken vergittert, und die Sierra de Alhamilla macht eine Zeitreise quer übers Mittelmeer von dreieindrittel tausend Jahren . . .
Symbole, Bilder . . . schon kleine Veränderungen im Set reichen aus, und wir reisen durch Raum und Zeit. Das hat weniger als Nichts mit der Realität zu tun, sehr viel aber mit dem Bild von Antike, das der normale Zuschauer mitbringt. Am Nil gibt es Palmen, es ist heiß, es wurden Pyramiden gebaut, und Schnupp, Palmen und Pyramiden schicken uns ins alte Ägypten! Wir kennen antike Ruinen meist in baufälligem Zustand, also erscheinen in den Sandalenfilmen eher mitgenommene Gebäude ~ die Baumeister damals waren nichtsdestotrotz gewohnt, neue und je nach Etat schöne Gebäude zu errichten . . .
Ich geh ja nicht so oft ins Kino, hab den Film Exodus nicht gesehen. Bei meinen Internetrecherchen ist mir ein Artikel in der Zeit aufgefallen, der bemängelt, daß es ‚keine Spiritualität, nirgens‘ gäbe . . . man ist geneigt, über diesen Anspruch zu lächeln, der an einen Regisseur und eine (Film-)Industrie gestellt wird, die vor allem zwei Dinge will: Unterhalten und Geld verdienen, letzteres nicht zu knapp. Und das funktioniert!
In der Gegend von Almería wurden schon viele Filme gedreht, vor allem die Wüste von Tabernas (auf der anderen Seite der Sierra de Almahilla) war war in den siebzigern Schauplatz der sogenannten Spaghetti-Western (weil italienische Produktionen). Ein gut Teil der Bilder, die in unserem Kopf den wilden Westen der USA ausmachen, sind hier in Andalusien entstanden.
Mir kommen, wundert euch nicht, gerade Assotiationen zu Platons Höhlengleichnis. Obwohl ich auf einem naturwissenschaftlich orientierten Gymnasium auf das Leben vorbereitet wurde (harrharrharr!), vermittelten mir vor allem Lateinlehrer ein gewisses Maß an Kenntnissen in klassischer Philosophie 😉 Das Höhlengleichnis will uns vor allem zeigen, daß wir Erkenntnis über diese Welt nur mittelbar aus der Betrachtung von Schatten erlangen, die von der Sonne hinter uns an die Höhlenwand projeziert werden, von Ereignissen, die wir selbst gar nicht direkt sehen können. Umgekehrt weichen wir vom doch anstrengenden Prozeß der Findung von und Auseinandersetzung mit der Wahrheit aus auf die Betrachtung einer virtuellen Schattenwelt, deren prominenteste Inkarnation eben die Kinofilmindustrie ist, inzwischen durchaus verbandelt mit der Computer(-spiel) Industrie . . . das geht so weit, daß die öfter aufreibende und unangenehm anstrengende reale Welt immer mehr von der virtuellen verdrängt wird. Man arbeitet intensiv daran, die Welten immer ununterscheidbarer zu machen, und ich habe so den Verdacht, daß so mancher meiner Mitmenschen die Welten schon jetzt nicht mehr so recht auseinander halten kann . . .
Ich mach mal ein bischen mit: Ägypten in meinem Blog: Pyramiden und Palmen 😉