Das Kreuz mit dem Kreuz

Was tun mit dem (Holz-)Kreuz, wenn der Stein kommt?
Was tun mit dem (Holz-)Kreuz, wenn der Stein kommt?

Ein Tip von einer Freundin (Danke, Christiane!) und allemal einen Besuch wert: die Wallfahrtskirche Gschnaidt, beziehungsweise die dazugehörigen Felder mit den provisiorischen Holzkreuzen, die auf jedem Friedhof aufgestellt werden, bis dann der obligatorische Grabstein gesetzt wird. Wohin dann damit? Auf den Müll? Oder mit nach Hause nehmen? Da sträuben sich so manchem die Haare.

hier in rauhen Massen aufgestellt ~ die provisorischen Holzkreuze
hier in rauhen Massen aufgestellt ~ die provisorischen Holzkreuze

Mitte der achziger Jahre des vorigen Jahrhunderts muß einem verzweifelten Menschen die Idee gekommen sein, das arbeitslos gewordene Holzkreuz seines verlorenen Anverwandten bei der Wallfahrtskirche Gschnaidt zur letzten Ruhe aufzustellen. Sozusagen als zweiten Ort der Erinnerung. Vielleicht hat der Verstorbene sich selbst gerne da aufgehalten, wer weiß?

im Hintergrund die Wallfahrtskapelle Gschnaidt
im Hintergrund die Wallfahrtskapelle Gschnaidt

Jedenfalls ist es nicht bei dem einen Kreuz geblieben. Wo ein Kreuz steht, kann man/frau ja auch noch eines dazustellen, und noch eines, und noch eines. Die Idee hat so vielen Menschen so gut gefallen, daß inzwischen um die zweitausend Kreuze den Platz um die Kirche zu einem Erlebnis machen, das kaum einen Menschen emotional unberührt läßt, auf die eine oder andere Art. Von Irritation bis Gruseln oder auch Frieden reichen die Gefühle.

Wallfahrtskapelle Gschnaid ~ Blick ins Innere
Wallfahrtskapelle Gschnaid ~ Blick ins Innere

Die ehemalige Messnerin Maria Zaha, die sich jahrelang um die Kreuze gekümmert hat, sich aber letztes Jahr vierundachzigjährig in den verdienten Ruhestand begeben hat, bat darum, keine Kreuze mehr aufzustellen, weil ihr die Arbeit zu viel würde, und auch die Entsorgung der vermodernden Kreuze als Sondermüll, da lackiert, zu aufwändig wäre ~ die Bitte wurde nicht erhört. Immer wieder stehen neue Kreuze auf dem Gelände . . .

Wallfahrtskapelle Gschnaidt ~ Altar
Wallfahrtskapelle Gschnaidt ~ Altar
Wallfahrtskapelle Gschnaidt ~ Decke
Wallfahrtskapelle Gschnaidt ~ Decke
Fürbitten ~ Maria oder die Engel sollen helfen . . .
Fürbitten ~ Maria oder die Engel sollen helfen . . .

Für mich selbst war der Besuch von Gschnaidt ein Anlaß, über Tod, Sterben, die Endlichkeit des individuellen Seins nachzudenken. Und wie Mensch, wie Gesellschaft damit umgeht. Wie die institutionellen christlichen Religionen damit umgehen. Und mit dem, was davor liegt, dem Leben.

wieder draußen ~ Kreuze mit Trauerflor
wieder draußen ~ Kreuze mit Trauerflor

Damals, als ich im Übergang von der Kindheit zur Welt der Erwachsenen das selbständige Denken erlernt habe, da war Jesus ‚in‘, wie man so sagt. Jesus Christ Superstar, man!!! Das Zeitalter des Wassermanns war angekündigt, sollte die Welt mit Liebe überfluten, und alles würde gut! Love, Peace and Understanding! So ganz hat das nicht einmal auf dem Woodstock-Festival geklappt, das sich demnächst zum 50ten mal jährt. Aber das Marketing für Film und Musikalben war jedenfalls phänomenal und hat das Festival zur Legende gemacht. Daß es auch da schon Einzelfälle von sexueller Belästigung bis zur Vergewaltigung gab, ließ man dafür mal eben unter den Tisch fallen.

Kreuz mit Trauerflor
Kreuz mit Trauerflor

Zurück zum Thema. In einem Roman von James A. Michener, Titel im Original ‚The Drifters‘, im Deutschen wieder einmal verballhornt zu ‚Die Kinder von Torremolinos‘, gab es zu der angesagten schönen neuen Welt (des Wassermanns), die die Jugend erschaffen wollte, einen Kommentar eines der älteren Protagonisten ~ frei aus dem Gedächtnis zitiert: ‚Eine neue Welt habt ihr erst erschaffen, wenn ihr neue Wege gefunden habt, eure Toten zu bestatten.‘ Allerdings hat sich da noch nicht allzuviel getan, genauso, wie das Zeitalter von Liebe, Frieden und Verständnis noch immer auf sich warten läßt.

auch im Tode durch Perlenkette vereintes Paar
auch im Tode durch Perlenkette vereintes Paar

Was geblieben ist, ist das Kreuz. Und da fängt für mich schon die Schwierigkeit an, die Irritation. Was soll ich bloß von einer Religion halten, die sich als Symbol, als Logo sozusagen, ein Folterwerkzeug ausgesucht hat, Folter bis zum Tode? Die sich die Religion der Liebe nennt, deren körperliches Ausleben aber immer noch mit Sanktionen belegt, wenn sie nicht in genau der vom großen Papa vorgeschriebenen Weise stattfindet? In der Ehe, aber um Gottes Willen nicht mit Verhüterli? Ehe, aber nur zwischen Mann und Frau? Und nur diesem einen Mann und dieser einen Frau? Und wenn die sich endgültig auseinander gelebt haben, gilt jede andere Liebe als Ehebruch, als Verstoß gegen das heilige Sakrament der Ehe, die nur Gott selbst persönlich aufheben kann? Und wenn die Priester dieser Religion sich an Kindern vergreifen, dann wird vertuscht, was das Zeug hält? Und die eine Hälfte der Menschheit in dieser Religion, oder ich sag jetzt mal Kirche, nur in untergeordneter Funktion tätig werden darf, weil unfähig, direkt mit Gott, dem Allmächtigen, in Kontakt zu treten?

Priesterecke
Priesterecke

Allmächtiger! Wenn man der Schrift folgen kann, haben die Jünger dieser Religion den expliziten Auftrag, die frohe! Botschaft zu verkünden. Christ (= der Gekreuzigte!) ist auferstanden? Davon ist allerdings in der Praxis recht wenig zu merken. Sogar die Engel schauen allenfalls pflichtsbewußt, öfter aber streng im vollen Bewußtsein des göttlichen Auftrags und der darin implizierten Macht. Maria, die ‚Mutter Gottes‘, irgendwo zwischen verlegen ob der beschränkten Rolle, die ihr in dieser Religion zugestanden wird, manchmal schon eher in Richtung grenzdebil. Und INRI läßt sich hängen . . .

Christus und die Muttergottes
Christus und die Muttergottes

Böse ist er heute wieder, der Gutmann! Allerdings mehr aus Verzweiflung über die Verwirrspiele dieser Kirche. Allmächtiger! Wenn es in dieser Kirche um etwas anderes ginge als um Macht, darum, das dumme Fußvolk nach der Pfeife der Mächtigen tanzen zu lassen. Aber diese Kirche(n) sind viel zu sehr im alten Testament verhaftet, im Testament des zornigen, rachsüchtigen, kontrollierenden und strafenden Gottes, anstatt an dem der Liebe. Da bleibt die Freude am Leben, da bleibt Lebensfreude auf der Strecke . . .

gibt es den richtigen Zeitpunkt? Zu früh gestorben?
gibt es den richtigen Zeitpunkt? Zu früh gestorben?

Übrig und letztlich unbefriedigt bleiben menschliche, allzu menschliche Bedürfnisse. Sinn-stiftende Erklärungen für alle Unwägbarkeiten, mit denen Mensch in das Leben geworfen ist ~ und da wieder herausgerissen wird. Ein Leben, das als Individuum endlich ist, das aber über Liebe, Liebe zum Mitmenschen, Liebe zum Partner, Geburt, Liebe zum Kind, über individuelle Grenzen, über den Tod hinaus perpetuiert wird, von Generetion zu Generation. Auf Hilfe, wenn ein geliebter Mensch aus dem Leben fällt. Es sollte möglich sein, in Freude zu leben, auch im Angesicht der Endlichkeit des persönlichen Lebens. Es sollte möglich sein, Lebensfreude (und dazu gehört auch Sinnesfreude!) und die Vermittlung von Lebensfreude als (göttlichen?) Auftrag, Kern und Sinn dieses Lebens zu begreifen.

Kreuz mit Rose
Kreuz mit Rose

Ob diese Kiche(n) in der heutigen Zeit noch diesem Auftrag gerecht werden können, ob sie dem jemals gerecht geworden sind, das mag ich aber bezweifeln. Dazu müßte Kirche von der Macht lassen, vom eingebildeten Selbstverständnis, im Besitz der einzig seelig machenden Wahrheit zu sein, nach der sich alle anderen gefälligst zu richten haben. Und von den Insignien der Macht, also auch vonm materiellen Reichtum. Aber vielleicht kommt das Zeitalter des Wassermanns ja doch noch, mit ein wenig Verspätung . . .

Endlichkeit auch hier ~ vorgesehen zur Entsorgung
Endlichkeit auch hier ~ vorgesehen zur Entsorgung

vom Sinn . . .

Durchblick ~ durch zwei bemalte Fenster
Durchblick ~ durch zwei bemalte Fenster

Wenige Tage nur hat es gedauert, wenige Tage nur an denen ich nicht so eng im Umtrieb der menschlichen Zuvielisation eingebunden bin, und zugegebenermaßen einige Tage eitel Sonnenschein 🙂 haben gereicht, mir wieder bewußt zu machen, worin der Sinn dieses Lebens besteht. Der eine oder andere mag sagen, daß es so etwas objektiv gesehen gar nicht gibt, daß so eine überkandidelte Vokabel allenfalls subjektiv mit Inhalt versehen werden kann . . .

strahlend hell am Himmel blau . . .
strahlend hell am Himmel blau . . .

Jein!
Denn es gibt eine Konstante, die Sinn und damit auch Glück für jedes Lebewesen dieser Welt ausmacht ~ das zu tun, für das die Anlagen in diesem Lebewesen da sind.

Für den Vogel ~ zu fliegen
für den Fisch ~ zu schwimmen
für das Pferd ~ zu laufen

tiefblau der Reflex im Wasser . . .
. . . tiefblau der Reflex im Wasser . . .

Wenn wir uns etwas tiefer in diesen Gedanken hineingleiten lassen, dann fällt uns noch mehr dazu ein. Wir haben

Augen ~ zu sehen
Ohren ~ zu hören
Nase, Geruchssinn ~ zu riechen
Zunge, Geschmackssinn ~ zu schmecken
Finger, Haut ~ zu spüren

. . . im ruhigen Fluß
. . . im ruhigen Fluß

Und nicht nur das. Wir haben auch

Hirn ~ zu denken
Herz ~ zu fühlen
Seele ~ um zu erfassen, daß wir Teil sind, untrennbar, . . .

~ . . . ~
~ . . . ~

Teil des Seins, Teil des Universums, Teil des Mensch-Seins . . .

So gesehen ist der Sinn des Lebens eine recht einfach zu erfassende Sache. Diese Welt, dieses Universum schreit danach, wahr-genommen zu werden, gesehen, gehört, gespürt, vor allem aber gelebt.

Sehen, wie das Licht des Morgens durch die Zweige bricht, sehen, wie der Milan auf dem Wind gleitet, wie sein gegabelter Schwanz und die Finger seiner Schwingen eine Böe ausgleichen, hören, wie ein Bach in den Fluß murmelt, die Rinde einer alten Eiche spüren, den Duft eines vollblühenden Baumes zu riechen, den Geschmack einer wilden Rauke zu schmecken.
Diese Welt, dieses Universum schreit danach, wahr-genommen zu werden, gesehen, gehört, gespürt, vor allem aber gelebt.

Milane
Milane

Und gerade im Frühjahr, wenn alles Leben wieder neu sprießt, wenn Männchen und Weibchen einer jeder Gattung umeinander tanzen und turteln, könnte man auch auf den Gedanken kommen, zurück zu den Menschen zu gehen, um das MenschSein zu leben miteinander, sich gut zu tun auf die eine oder andere Weise. Denn auch der Mensch ist ein soziales Wesen 🙂

Was ich damit sagen will: der Sinn des Lebens liegt gerade nicht darin, zu ackern, um sich noch mehr Dinge leisten zu können, den größeren Flachbildschirm, das stärkere Auto, oder gar so abstrakte Dinge wie ein Bruttoinlandsprodukt zu maximieren. Denn das Leben ist nicht im Fernsehen, nicht im Internet, die wirklich relevanten Daten sind nicht in irgendeinem Spreadsheat versteckt. Das wirkliche Leben ist da draußen, vor der Tür. Und es braucht gar nicht so viel dazu, es zu leben.

Also Augen auf, Ohren auf, tief Luft geholt! Raus aus der Bude und Hirn, Herz und Seele geöffnet für das, was uns dieses Universum bietet!

Anmerkung: Dieser Beitrag erscheint ~ mit weniger Bildern ~ auch auf meiner Sinnsucher-Seite

der Urwald Sababurg im Reinhardswald

im Reinhardswald ~ alte Buche
im Reinhardswald ~ alte Buche

Nach ein paar Tagen Pause, dem Besuch von guten Freunden und Kennenlernen neuer symphatischer Menschen, melde ich mich zurück mit ein paar Impressionen vom „Urwald Sababurg“ im Reinhardswald.

im Reinhardswald ~ knorrige Eiche
im Reinhardswald ~ knorrige Eiche
Eiche
Eiche

Obwohl der „Urwald Sababurg“ nicht wirklich ein Urwald im eigentlichen Sinne des Wortes ist ~ das gibt es in Deutschland streng genommen eh schon lange nicht mehr ~ ist er ein immerhin schon seit 1907 aus der forstwirtschaftlich Nutzung herausgenommener Wald, der sich natürlich weiterentwickelt. In dem also ein Baum wachsen kann, wie und so lange er will, und er, wenn seine Zeit gekommen ist, ganz langsam zerfällt und wieder in der Erde versinkt. Und so hat sich aus dem vorherigen Hutewald, also einem Wald, in den das Vieh zum Weiden getrieben wurde, im Lauf der Zeit ein Wald mit beeindruckenden Baumindividuen gebildet, mit sehr, sehr alten Eichen und Buchen in jedem Stadium des Alters, und des Verfalls. Wer mag, darf sich den Autor und Photographen von Baum zu Baum springend und kein Ende findend vorstellen, und liegt dabei ziemlich nah an der Realität 🙂

bis sie wieder Erde werden ~ Eiche
bis sie wieder Erde werden ~ Eiche

Denn kaum etwas verkörpert für mich mehr die Essenz des Lebens als ein Baum, egal ob nur ein streichholzgroßer Trieb aus einer Buchecker mit einem einzigen Blatt obendrauf, oder als turmhoher alter Baum.
Die Kombination von Stand-Festigkeit und Elastizität, die stärksten Stürmen trotzen kann. Das Raum-Greifende, nach oben mit Stamm – Ästen – Zweigen und zigtausenden Blättern oder Nadeln, hin zu Licht, Luft, Sonne. Nach unten die Verästelung der Wurzeln in immer kleinere Fasern, mal senkrecht in die Tiefe gerichtet, mal mehr in die Breite, zu Wasser und Mineralien.
Das langsame Atmen im Rhythmus von Tag und Nacht, um tags mit der Energie der Sonne, dem Kohlendioxid der Luft, dem Wasser und den Mineralsalzen der Erde Substanz zu erzeugen für das eigene Wachstum, nachts wie wir einen Teil der erzeugten Substanz verbrennend um zu leben.
Der noch viel langsamere Rhythmus im Lauf der Jahreszeiten, im Frühjahr das explosive Sprießen von frischem Grün, im Sommer substanzielles Wachstum, im Herbst der Rückzug aller energetisch wichtigen Substanzen in den geschützten Erdraum, die bunten Farben, der Verlust der Blätter, im Winter tiefer Schlaf bis zur Wärme des Frühlings.

Blick aus dem Inneren aufwärts
Blick aus dem Inneren aufwärts

Der Über-Lebens-Wille. Wenn man eine vom Herbststurm gefällte Robinie liegen sieht, die im Frühjahr wieder austreibt, genährt von den Wurzeln, die noch Kontakt zum Erdreich haben. Oder eine Weide oder Platane, die zurückgestutzt bis auf Stamm oder Stumpf wieder frisch austreibt.
Das Zeit-Greifende – Wenn man sie nur läßt, können Bäume hunderte, ja tausende von Jahren leben.
Ein Leben im ständigen Austausch untrennbar verbunden mit dem Universum.
Bäume fühlen, wie die Wissenschaft langsam belegen kann, und kommunizieren miteinander mit Botenstoffen, die vom Wind übertragen werden.
Ich hätte nichts dagegen, als Baum zu leben . . . einige meiner besten Freunde sind Bäume . . .

höchst lebendig ~ uralte Eiche
höchst lebendig ~ uralte Eiche
in diesem 'Urwald' eher seltene aber 'ur'alte Fichte
in diesem ‚Urwald‘ eher seltene aber ‚ur’alte Fichte
Fichte ~ Blick nach oben am Stamm entlang
Fichte ~ Blick nach oben am Stamm entlang
Buchen, die wachsen, wie sie wollen ~ nicht nur aufwärts . . .
Buchen, die wachsen, wie sie wollen ~ nicht nur aufwärts . . .
Buchen, die wachsen, wie sie wollen ~ nicht nur aufwärts . . .
Buchen, die wachsen, wie sie wollen ~ nicht nur aufwärts . . .
Buchenensemble im Laokoon-Stil
Buchenensemble im Laokoon-Stil
Stamm einer 'ur'alten Hainbuche
Stamm einer ‚ur’alten Hainbuche
und jeder ein Individuum ~ Eiche
und jeder ein Individuum ~ Eiche
und jeder ein Individuum ~ Eiche
und jeder ein Individuum ~ Eiche
Eiche, bemoost
Eiche, bemoost
Reststamm
Reststamm
Zeuge von früherem Leben
Zeuge von früherem Leben
langsamer Zerfall
langsamer Zerfall
Feenhaus ~ die Fee ist gerade ausgegangen :(
Feenhaus ~ die Fee ist gerade ausgegangen 🙁
Blick aus dem hohlen Stamm nach oben
Blick aus dem hohlen Stamm nach oben
allein unter vielen
allein unter vielen
das Detail und die Zeit
das Detail und die Zeit

. . . dann ist das halt Kitsch . . .

wattn'dattn?
wattn’dattn?
* Abendhimmel über der Brücke zwischen Deltebre und St.Jaume *
* Abendhimmel über der Brücke zwischen Deltebre und St.Jaume *

Der geneigte Leser/Betrachter (hihihihiiii! 😉 ) erlebt mich heute reichlich unzufrieden, einerseits . . . weil die Bilder des gestrigen Abendhimmels nun wirklich nur einen Abklatsch des Erlebnisses gestern abend darstellen. Im Ergebnis irgendwo zwischen mangelhaft und mau angesiedelt. Aber sei’s drum! Das von mir favorierte Thema Sonnenauf- und Untergänge rangiert in der „kunstaffinen“# Gemeinde eh irgendwo um die Grenze zum Postkartenkitsch, manchmal schön anzusehen, aber nichtssagend, bedeutungslos (motivunterstütztes Dösen) . . .

* Abendhimmel über der Brücke zwischen Deltebre und St.Jaume *
* Abendhimmel über der Brücke zwischen Deltebre und St.Jaume *

. . . andererseits: erlebe ich in diesem Grenzbereich zwischen Tag und Nacht die Relation zwischen den Bruchteilen einer Sekunde, in der diese Bilder entstehen und den Jahrmillionen, in denen diese beeindruckenden Farberuptionen schon stattfinden, von Tag zu Tag immer wieder und doch auch immer wieder anders . . . ich mag in diesem Zusammenhang allerdings das Wort ‚Naturschauspiel‘, das manchem von euch einfallen wird, ganz und gar nicht. Die Natur hat es nicht nötig zu schauspielern, sie IST. Und in diesem SEIN, in diesen alles menschliche Leben und auch menschliche Kultur sprengende Dimensionen des ‚Immer Wieder‘ liegt für mich der Reiz. Und im Erleben die Erkenntnis, daß auch ich, wenn auch winziger, Teil dieser großartigen Welt bin, daß ich BIN, und . . . ruhig und gelassen schwimme ich im Strom des Lebens . . .

* Abendhimmel über der Brücke zwischen Deltebre und St.Jaume *
* Abendhimmel über der Brücke zwischen Deltebre und St.Jaume *

Die Navajos haben einen Begriff, der sehr exakt das bezeichnet, was ich meine: Hózhó
Übersetzt normalerweise mit Harmonie, Schönheit, meint Hózhó einen Zustand des Gleichgewichts, des ‚Teil-von-Seins‘ und ‚Eins-Seins‘ mit dieser Welt. (übrigens, wer hören will, wie man das ausspricht, klickt hier) Ich habe den Begriff bei der Lektüre der Krimis von Tony Hillerman kennengelernt, die um die Stammespolizei der Navajo, besonders den Polizisten und gleichzeitig angehenden Sänger/Schamanen Jim Chee aufgebaut sind. Wer des Englischen mächtig ist, lese zumindest die ersten drei Abschnitte dieses Artikels, um eine genauere Vorstellung von Hózhó zu bekommen. Interessant im dritten Absatz, direkt von Jim Chee: Nicht um Regen beten, wenn die Welt vertrocknet, sondern etwas tun, um die eigene Einstellung zur (real und unabänderlich existierenden) Trockenheit zu verändern . . . 😉 Nicht die Welt verbiegen, daß sie sich unseren Bedürfnissen anpasst, auf Teufel komm raus, sondern unsere Einstellung hinterfragen und sich auf die Gegebenheiten dieser Welt einzulassen, in diesem Sinne ‚zu harmonisieren‘.

Abendhimmel über der Brücke zwischen Deltebre und St.Jaume
Abendhimmel über der Brücke zwischen Deltebre und St.Jaume

Auch der ferne Osten hat dazu etwas zu bieten: Tat Tvam Asi ~ du bist das . . .

Brücke zwischen Deltebre und St.Jaume ~ von oben, 30 sec
Brücke zwischen Deltebre und St.Jaume ~ von oben, 30 sec

Hinweise:
# fuck die kunstaffinen! Ich photographiere das, was iiich will! 😉
wattn’dattn? Dickes Schiff? Flugzeugträger? Nein, die futuristische Brücke von unten 🙂
* die Bilderchen mit *chen lassen sich wieder mal vergrößern. Klick!

Cap de la Nao

. . . selten ~ Buchten ohne Bebauung . . .

Gestern war also Wäschewaschen angesagt, genauer: Wäsche waschen lassen ~ eine Automatenwäscherei habe ich hier nirgens gefunden. Also blieb trotzdem Zeit für einen großen Spaziergang beziehungsweise einer kleinen Wanderung von fünfeinhalb Stunden genutzt werden konnte. Vom Cap de la Nao zum Cap Pim, zum Teil auf einem schmalen Pfad durch eine wunderschöne Landschaft. Und von da wieder zum Bus zurück . . .

Aufnahmehöhe: 159 m über dem Meer ;-}

Ich hoffe, ich gehe euch nicht zu sehr damit auf die Nerven, aber daß ich die Gelegenheiten zur Zeit besonders gerne nutze, von irgendwelchen hohen Klippen hinunterzuphotographieren, das ist pure Lebensfreude! Ich genieße es, nach den Schwierigkeiten mit meinem rechten Ohr das Vertrauen in meinen Gleichgewichtssinn wiedergefunden zu haben ~ keiner von euch Daheimgebliebenen muß sich da irgendwelche Sorgen machen . . . ja, ich passe auf, nein, mir passiert nichts. Aber ich genieße es, eben nicht an den Geländern für die Rentnertouristen stehenzubleiben, und auch nicht auf dem vorvorletzten Hügel des Cap Pim, sondern auf dem letzten, da wo das Meer beginnt. Und ich genieße es, auch steilere Wände wieder auf meinen zwei Beinen hochzulaufen, ohne die Hände zu Hilfe nehmen zu müssen ~ und mich dabei sicher zu fühlen. Sicher, und gut!

. . . philosophische Pause . . .

Auf der Insel im Hintergrund gibt es tatsächlich ein kleines Häuschen, das sympathischerweise nicht wie eine Villa aussieht. Da könnte man davon träumen, so eine ganze Insel für sich alleine . . . ;-}

Die philosophische Pause gabs aber bei der Betrachtung der Felsengruppe in der Mitte. Ganz links neben dem letzten sichtbaren Felsen gabs noch einen, der wohl gerade mit der Meeresoberfläche auf einer Ebene endete, mal war er über Wasser, mal darunter.  Jede See, die in die Bucht rollte, veränderte das Bild der Wasseroberfläche, mit den Reflexionen des Wassers und dem Umspülen in unterschiedlichen Richtungen ein Anblick des ständigen Wandels.

Ich glaube, man könnte eine automatische Kamera auf diese Felsengruppe richten, jede Sekunde der Helligkeit ein Bild schießen, ein ganzes Jahr lang, und diese Bilder dann von einem Computerprogramm vergleichen lassen. Es gäbe keine zwei gleiche Bilder ~ ähnliche ja, gleiche nein . . . je genauer man hinschaut, desto mehr Unterschiede fallen auf . . .

Wenn man daran denkt, daß die ‚Wissenschaft‘ vor gar nicht so langer Zeit noch allen Ernstes der Meinung war, daß diese komplette Welt berechenbar wäre, und wenn man nur die Ausgangsituation kennen würde, könnte man die ganze Zukunft errechnen . . . ;-} dabei ist schon eine so einfache Situation viel zu komplex (und ‚chaotisch‘ im modernen wissenschaftlichen Sinn), daß von einer Berechenbarkeit keine Rede sein kann . . .

Seit Heisenberg ist der Physik klar, daß sie nicht einmal Position und Geschwindigkeit eines Elektrons gleichzeitig feststellen kann, daß Teilchen durchaus sowohl ~ als auch sein können, ohne daß wir die Welt auf einen der beiden, oder mehreren Zustände festnageln könnten . . .

Und was hat das mit uns zu tun? Nichts ~ Alles . . .

Aber wir leben in einer Welt, die unfaßbar groß ist, auch in ihren Möglichkeiten, und es macht verdammt viel Spaß, sie sich anzuschauen und zu erleben!

 

Und dann noch der Papst . . .

Man kann sich sicher trefflich darüber streiten, ob dem Papst als Kopf eines absolutistischen Staates oder auch als Kopf einer großen Glaubensgemeinschaft im Parlament eines demokratischen Staates das Rednerpult überlassen werden sollte. Eine Frage, die vom prinzipiellen Standpunkt her diskutiert werden sollte ~ und auch diskutiert wurde. Der Auftritt hatte zumindest den unbestreitbaren positiven Effekt, daß unseren Volksvertretern einmal ab vom politischen Phrasengedresche eine Form von Tiefsinn um die Ohren geschlagen wurde ;-}, der der politischen Debatte ansonsten seeehhhr fremd ist ~ wobei der Inhalt dieser durchaus interessanten Rede allerdings hinterfragt werden sollte . . .

Gut war erstmal, daß in der offiziellen Begrüßung sowohl vom Bundespräsidenten Christian Wulff als auch vom Bundestagspräsidenten Norbert Lammert durchaus kirchenkritische Töne angeschlagen wurden, mit der Erwartung, daß der Papst sich in seiner Rede zu dieser in der Gesellschaft sehr wohl vorhandenen Fragen an die katholische Kirche äußern würde.  Hat er, was Wunder, nicht getan!

War auch ein bischen bnond und bnauäugig, diese Erwartung. Immerhin beansprucht der hohe Gast als Papst ja (übrigens noch gar nicht so lange, erst seit dem 1. vatikanischen Konzil 1870) das Dogma der päpstlichen Unfehlbarkeit für sich. Wie kann man bloß so arrogant sein, einen Unfehlbaren oder gar die ganze unfehlbare Kirche zu kritisieren?

Noch einen sehr typischen (Denk-) Fehler begingen übrigens beide Präsidenten. Die von ihnen bemühte Trennung zwischen Kirche und Staat ist in Deutschland eben nicht vorhanden, immerhin zieht der Staat für die Kirchen Steuern ein. Was uns Deutschen aus Gewohnheit normal, aber z.B. einem Franzosen absolut aberwitzig erscheint, ist das Ergebnis des Reichskonkordats unseres großen Diktators Hitler, der sich dadurch – erfolgreich – das Wohlwollen der Kirchen erkaufte. Es ist nicht das einzige Überbleibsel aus dieser unheiligen Zeit, um deren Herkunft sich vor allem Politiker aus den C-Parteien gedanklich immer wieder herumdrücken.

Eine andere gestern wie öfters in der vergangenen Zeit in die Öffentlichkeit verklappte Worthülse ist die der „jüdisch-christlichen Tradition“ Europas, Grundlage der abendländischen Kultur . . .
Oha! Europa im Allgemeinen und Deutschland im Besonderen hat vor allem eine antisemitische Tradition, um die sich diese Vertreter der abendländischen Kultur gerne wurzeltechnisch schamhaft herumdrücken.
Was sie eigentlich meinen, ist eine alttestamentarisch – neutestamentarische Tradition. Das alte Testament ist jüdisch durch und durch, soweit ist das korrekt. Christus war Jude, klar. Die Juden waren jedoch für die Kirche wegen ihrer angeblichen Verantwortwortung für die Kreuzigung Christi böse-böse-böse, und Kirche und Päpste haben an den antisemitischen Exzessen fleissig mitgemischt.
Der alttestamentarische Gott ist im Übrigen ein ausgesprochen blutrünstiger und rachsüchtiger Gott, und ein Egomane dazu. Anders als vom Papst in der gestrigen Rede postuliert hat dieser Gott auch normatives Recht erlassen (die 10 Gebote). Die Kirche konnte auf das alte Testament nicht zugunsten des neuen Testaments (Liebe und Toleranz) verzichten, weil sie es als machtpolitische Grundlage ihrer eigenen hierarchischen Struktur wie der mit der Kirche immer verbandelten weltlichen Herrschaft der Kaiser, Könige und Adligen „von Gottes Gnaden“ gebraucht hat. Und da, in dieser Struktur der Herrschaft von oben, und damit direkt durch den Papst, steckt zumindest die katholische Kirche (als „Apparat“) immer noch fest.

Die Rede gestern war trotz allem sehr interessant, ein Exkurs in die philosophische Geschichte nicht nur der christlichen Kirche. Und natürlich hat er als geschulter Denker und ausgebildeter Rhetoriker auch in so manchem recht, hier zum Beispiel:
„Der Mensch ist nicht nur sich selbst machende Freiheit. Der Mensch macht sich nicht selbst. Er ist Geist und Wille, aber er ist auch Natur, und sein Wille ist dann recht, wenn er auf die Natur hört, sie achtet und sich annimmt als der, der er ist und der sich nicht selbst gemacht hat. Gerade so und nur so vollzieht sich wahre menschliche Freiheit.“
Direkt danach, als er den Theoretiker des Rechtspositivismus, Kelsen, zitiert mit den Worten “ . . . dass Normen nur aus dem Willen kommen können. Die Natur könnte folglich Normen nur enthalten, wenn ein Wille diese Normen in sie hineingelegt hat. Dies wiederum würde einen Schöpfergott voraussetzen, dessen Wille in die Natur miteingegangen ist“ begibt er sich auf den Boden eines spekulativen Postulats, das er für die Existenz eines „Schöpfergottes“ außerhalb, oberhalb dieser Welt, dieses Universums braucht, denn aus der Überzeugung von dessen Existenz wurde „die Idee der Menschenrechte, die Idee der Gleichheit aller Menschen vor dem Recht, die Erkenntnis der Unantastbarkeit der Menschenwürde in jedem einzelnen Menschen und das Wissen um die Verantwortung der Menschen für ihr Handeln“  entwickelt.

Da schlägt der Geist des Papstes gleich mehrere Volten. Mal ganz davon abgesehen, daß die katholische Kirche historisch gesehen nicht gerade für die  Entwicklung und Durchsetzung der erwähnten Rechte bekannt ist . . . wieso sollte eine „objektive Vernunft, die sich in der Natur zeigt,“ . . . „eine schöpferische Vernunft, einen Creator Spiritus“ voraussetzen?
Und wieso sollte es nur mit einem Schöpfergott möglich sein, „Gut und Böse zu unterscheiden und so wahres Recht zu setzen, der Gerechtigkeit zu dienen und dem Frieden“?

Leut, die Zeit läuft, ich muß . . . wird später fortgesetzt!


Sooooo . . . weiter am 25. 9. 2011 ~ Der Papst macht sich wohl jetzt fertig für seinen Abschiedsgottesdienst auf der Freiburger Messe und ist dann mal wieder weg, weit weg vom Leben der Gläubigen und Nichtgläubigen, in Rom.

Wo waren wir stehengeblieben? Ach ja, der Creator Spiritus. (für alle nicht lateinisch Vorgebildeten, die sich nicht vorstellen können, daß der Spiritus nicht nur in der Flasche daheim ist: Der (Er-) Schaffende Geist)

Für einen in der christlichen Tradition aufgewachsenen und geschulten Kopf ist es nicht vorstellbar, daß diese Welt nicht von einem allmächtigen Wesen erschaffen worden ist, das er Gott nennt. Deshalb nennt er die Welt auch Schöpfung und jedes Lebewesen, das sich darauf bewegt, Kreatur, das Erschaffene. Daß es in der Natur „objektive Vernunft“ gibt, ist ihm Beweis dafür, daß die Welt von einem vernünftigen Wesen, Gott, erschaffen worden ist, denn vorher war biblisch Tohuwabohu (תֹהוּ וָבֹהוּ), griechisch laut Hesiod Chaos (χάος), aus dem erst der Kosmos geschaffen wurde . . .

Was aber, wenn nicht Chaos, Durcheinander, Un-Ordnung die Grundlage dieser Welt wäre? Was, wenn es keinen Schöpfer außerhalb dieser Welt gäbe, wenn der Kosmos, die Welt, selbst und ’schon immer‘ Ordnung wäre als Prinzip des Seins?

Und wieso sollte der Mensch ohne diesen Schöpfergott blind sein für Recht, Gerechtigkeit, Frieden? Der alttestamentarische Gott selbst hat den Menschen ~ weil er die Früchte vom Baum der Erkenntnis kosten wollte ~ aus dem Paradies geworfen und damit die geistige, emotionale und spirituelle Trennung des Menschen vom Rest der Welt erst besiegelt, die den Egoismus ~ und was anderes ist Sünde? ~ erst möglich macht. Der Monotheismus, also auch das Christentum, setzt den Menschen in Opposition zu Gott und dessen Schöpfung ~ und es ward Chaos, Tohuwabohu. Wieviel Unrecht ist im Namen der Religionen begangen, wie viele Kriege geführt worden? Und wir schlittern gerade (hoffentlich noch gerade dran vorbei) in Richtung neue Religionskriege . . .

Wenn sich der Mensch als untrennbar verbundenes Teil des Kosmos begreifen würde, wenn er sich mit Welt, ob im menschlichen, ob im ökologischen, ob im übergeordneten (’spirituellen‘) Sinn, identifizieren würde, hätten wir ~ und die Welt ~ einige Probleme weniger.

Aber das ist schon wieder eher was für die phil~phi~o~sophie Seite, da werd ich diese Gedanken ein bischen weiter ausführen, wenn ich etwas mehr Luft dazu habe . . .